Informationen Steuern Oktober 2019
Alle Steuerzahler
Termine: Steuern und Sozialversicherung
10.10.
- Umsatzsteuer
- Lohnsteuer
- Kirchensteuer zur Lohnsteuer
Die dreitägige Zahlungsschonfrist endet am 14.10. für den Eingang der Zahlung.
Zahlungen per Scheck gelten erst drei Tage nach Eingang des Schecks bei der Finanzbehörde (Gewerbesteuer und Grundsteuer: bei der Gemeinde- oder Stadtkasse) als rechtzeitig geleistet. Um Säumniszuschläge zu vermeiden, muss der Scheck spätestens drei Tage vor dem Fälligkeitstag vorliegen
Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge Oktober 2019
Die Beiträge sind in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens am drittletzten Bankenarbeitstag eines Monats fällig. Für Oktober ergibt sich demnach als Fälligkeitstermin der 29.10.2019.
Anmerkung: In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen ist der 31.10.2019 ein Feiertag (Reformationstag). Aus diesem Grund sind die Sozialversicherungsbeiträge für Oktober in diesen Bundesländern bereits bis zum 28.10.2019 zu zahlen. Die Beitragsnachweise müssen vor Ablauf des 23.10.2019 vorliegen.
Kabinettsbeschluss: Abschaffung des Solidaritätszuschlags für fast alle
Das Bundeskabinett hat am 21.8.2019 den Entwurf des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags beschlossen. Damit fällt von 2021 an der Zuschlag für rund 90 Prozent derer vollständig weg, die ihn heute zahlen. Für weitere 6,5 Prozent entfällt der Zuschlag zumindest in Teilen. Im Ergebnis würden 96,5 Prozent der heutigen Soli-Zahler bessergestellt, teilt das Bundesfinanzministerium (BMF) mit.
Die Steuerzahler würden von 2021 an um rund 10 Mrd. Euro entlastet, bis 2024 steige diese Entlastungswirkung auf etwa 12 Mrd. Euro.
Wesentliche Inhalte des Gesetzentwurfs sind:
(1) Anhebung der Freigrenze, bis zu der kein Solidaritätszuschlag anfällt, auf 16.956 Euro bzw. auf 33.912 Euro (Einzel-/Zusammenveranlagung) der Steuerzahlung. Das hat zur Folge, dass eine Familie mit zwei Kindern bis zu einem Bruttojahreslohn1 von 151.990 Euro und Alleinstehende bis zu einem Bruttojahreslohn von 73.874 Euro keinen Solidaritätszuschlag mehr entrichten.
(2) Anpassung der Milderungszone, so dass die Entlastung bis weit in den Mittelstand wirkt. Übersteigt die tarifliche Einkommenssteuer die Freigrenze, wird der Solidaritätszuschlag nicht sofort in voller Höhe, also mit 5,5 Prozent, erhoben. Dadurch wird die Mehrheit der noch verbleibenden Soli-Zahler ebenfalls entlastet, allerdings bei steigenden Einkommen mit abnehmender Wirkung.
Bundesfinanzministerium, Pressemitteilung vom 21.8.2019
Steuerbescheid: Zur Änderungsbefugnis nach § 174 Absatz 4 AO
Eine Änderung nach § 174 Absatz 4 Abgabenordnung (AO) ist auch zulässig, wenn das Finanzamt – abweichend von der im Gesetz angelegten Reihenfolge – zuerst den auf § 174 Absatz 4 AO gestützten Steuerbescheid erlässt oder ändert und erst dann die Aufhebung oder Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen durchführt, auf der die Änderung nach § 174 Absatz 4 AO beruht. Dies setzt voraus, dass die Aufhebung oder Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen vor Erlass der Einspruchsentscheidung über den Einspruch gegen den nach § 174 Absatz 4 AO geänderten Steuerbescheid erfolgt ist, wie das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg entschieden hat. Der Bundesfinanzhof hat die Revision gegen das Urteil zugelassen (VI R 20/19).
Die Klägerin hatte 2007 landwirtschaftlich genutzte Grundstücke veräußert, die zuletzt verpachtet waren. Das beklagte Finanzamt unterwarf die Veräußerung im Einkommensteuerbescheid 2007 in vollem Umfang der sogenannten Bodengewinnbesteuerung, weil die Grundstücke bis zur Veräußerung zu einem landwirtschaftlichen Betriebsvermögen der Klägerin gehört hätten. Nachdem das FG in einem Aussetzungsverfahren entschieden hatte, dass der Veräußerungsgewinn je zur Hälfte im Jahr 2007 und im Jahr 2008 zu versteuern sei, änderte das Finanzamt die Einkommensteuer 2007 mit Bescheid vom 17.09.2014 zugunsten und die Einkommensteuer 2008 mit Bescheid vom 15.09.2014 zulasten der Klägerin ab, indem es den Veräußerungsgewinn in den beiden Veranlagungszeiträumen je zur Hälfte erfasste.
Die gegen die Änderungsbescheide erhobenen Einsprüche blieben ohne Erfolg. Mit den hiergegen erhobenen Klagen wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Besteuerung des Veräußerungsgewinns. Das Klageverfahren betreffend Einkommensteuer 2007 wurde mit Urteil des FG vom 09.02.2018 entschieden (13 K 3773/16). Mit ihrer Klage gegen den nach § 174 Absatz 4 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2008 bestritt die Klägerin eine Änderungsbefugnis des Finanzamtes und berief sich auf Festsetzungsverjährung. In der Sache machte sie wie für das Jahr 2007 geltend, die Bodengewinnbesteuerung hätte wegen einer früheren Betriebsaufgabe nicht durchgeführt werden dürfen.
Dem folgte das FG nicht. Die ursprüngliche Einkommensteuerfestsetzung 2008 hätte zwar mit Ablauf des Jahres 2013 grundsätzlich nicht mehr geändert werden dürfen. Die Einkommensteuerklärung 2008 sei im November 2009 eingereicht worden und die regelmäßige Festsetzungsfrist daher zum Jahresende 2013 abgelaufen (§§ 169 Absatz 2 Nr. 2, 170 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Das Finanzamt sei aber nach § 174 Absatz 4 Satz 1 AO zur Änderung der Einkommensteuer 2008 befugt gewesen: Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird (hier der Einkommensteuerbescheid 2007), so könnten aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Für den Erlass eines rechtmäßigen Änderungsbescheids nach § 174 Absatz 4 AO reiche es aus, dass die Voraussetzungen für die Änderung – insbesondere die Änderung des Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen – bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den auf § 174 Absatz 4 AO gestützten Änderungsbescheid vorliegen. Das sei hier der Fall.
Das Finanzamt sei bei Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheids für 2007 zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der streitbefangene Veräußerungsgewinn der Bodenbesteuerung unterliege. Es habe aber anfänglich nicht berücksichtigt, dass der Veräußerungsgewinn den Veranlagungszeiträumen 2007 und 2008 jeweils hälftig zuzuordnen sei. Das Finanzamt habe den Sachverhalt insoweit im Sinne des § 174 Absatz 4 Satz 1 AO irrig beurteilt. Der Umstand, dass es in der Folge bei Erlass der Einkommensteueränderungsbescheide für 2007 vom 17.09.2014 und für 2008 vom 15.09.2014 abweichend von der im Gesetz angelegten Reihenfolge den Änderungsbescheid für 2008 schon vor der Änderung des Bescheids für 2007 erlassen habe, sei unschädlich. Denn für die Rechtmäßigkeit des aufgrund § 174 Absatz 4 AO geänderten Einkommensteuerbescheids 2008 reiche es aus, dass zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung über den Einkommensteuerbescheid 2008 am 13.12.2016 die Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 2007 erfolgt gewesen sei. Es sei also insoweit zulässig, zuerst den zweiten Bescheid zu ändern oder zu erlassen, und erst dann den ersten Bescheid aufgrund des Rechtsbehelfs oder Antrags des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern, vorausgesetzt, dass diese Aufhebung oder Änderung des ersten Bescheids – wie im Streitfall – vor Erlass der Einspruchsentscheidung über den Einspruch gegen den zweiten Bescheid erfolgte.
Der reguläre Ablauf der Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2013 habe der Änderung des Einkommensteuerbescheids 2008 nicht entgegengestanden, so das FG. Denn nach § 174 Absatz 4 Satz 3 AO ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. Entsprechendes müsse gelten, wenn – wie im Streitfall – die steuerlichen Folgerungen sogar schon zwei Tage vor der Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen würden.
Eine Durchbrechung der Festsetzungsfrist sei im Streitfall auch nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem der später im Einspruchsverfahren geänderte Einkommensteuerbescheid für 2007 erging, die Festsetzungsfrist für die Steuerfestsetzung für 2008, bei der der Sachverhalt richtigerweise hätte berücksichtigt werden müssen, bereits abgelaufen war (§ 174 Absatz 4 Satz 4 AO) Denn der im Anschluss an die Außenprüfung geänderte Einkommensteuerbescheid für 2007, bei dem der Veräußerungsgewinn zu Unrecht in vollem Umfang angesetzt worden war, wurde am 11.12.2013 erlassen und zu diesem Zeitpunkt war die Festsetzungsfrist für den Einkommensteuerbescheid für 2008 noch nicht abgelaufen. Die Behörde durfte daher die zutreffende Entscheidung später noch so durchsetzen, wie es ihr bei Erlass des angefochtenen Bescheids für 2007 möglich gewesen wäre, hätte sie die richtige Entscheidung bereits in diesem Zeitpunkt getroffen.
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 09.02.2018, 13 K 89/17
"Cum-Ex": Fragen nach weiteren Fällen
Um sogenannte Cum/Ex-Geschäfte, bei denen Erstattungen von Kapitalertragsteuer erwirkt werden, ohne diese zuvor abgeführt zu haben, geht es in einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke (BT-Drs. 19/11883).
Nach Medienberichten über möglicherweise weiter mögliche Fallkonstellationen dieser Art soll die Regierung angeben, ob sie eine weitere Reform der Verfahren zur Kapitalertragsteuerabführung und Steuererstattung erwägt, um Betrugsrisiken zu minimieren. Außerdem wollen die Abgeordneten wissen, welche Gründe zum nennenswerten Anstieg der Kapitalertragssteuer Erstattungen bis 2017 geführt haben.
Deutscher Bundestag, PM vom 12.08.2019
Cum/Cum-Gestaltungen: 270 Millionen Euro Rückstellungen wegen etwaiger Straf- und Steuernachzahlungen
Die Behörden haben bisher 104 Fälle wegen so genannter Cum/Cum-Gestaltungen aufgegriffen, bei denen mit Geschäften um den Dividendenstichtag eine Belastung mit Kapitalertragsteuer vermieden werden sollte. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort (BT-Drs. 19/12212) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (BT-Drs. 19/11805) weiter mitteilt, ist bei den Fallzahlen zu berücksichtigen, dass für jeden Veranlagungszeitraum ein eigener Fall gebildet wurde. Somit könnten auf die gleiche Person mehrere Fälle entfallen. Wie aus der Antwort weiter hervorgeht, haben Finanzinstitute insgesamt über 270 Millionen Euro Rückstellungen wegen etwaiger Straf- und Steuernachzahlungen vorgenommen.
Deutscher Bundestag, PM vom 15.08.2019
Grunderwerbsteuer: Die Instandhaltungsrücklage darf nicht herausgerechnet werden
Übernimmt der Käufer einer Eigentumswohnung auch das Guthaben aus der Instandsetzungsrücklage, so unterliegt der Wert dafür auch der Grunderwerbsteuer – so wie der Kaufpreis.
Die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage bei Erwerb von Teileigentum, so das Finanzgericht Köln, sei nicht um das Guthaben der Instandhaltungsrücklage zu mindern. Denn bei einer Zwangsversteigerung einer Immobilie beispielsweise mindere die Instandhaltungsrücklage die Grunderwerbsteuer auch nicht.
FG Köln, 5 K 2297/16 vom 17.10.2017
Kapitalabfindung von Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen: Anwendung des ermäßigten Steuersatzes
Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten erfordert zusätzlich die Außerordentlichkeit dieser Einkünfte. Das geht aus einem aktuellen Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) hervor.
Hierfür sei im Falle der Kapitalisierung von Altersbezügen entscheidend, dass eine solche Zusammenballung der Einkünfte in dem betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich nicht dem typischen Ablauf entspreche. Ob darüber hinaus in dem konkreten Vertrag die Möglichkeit einer Kapitalabfindung bereits von Anfang an vorgesehen gewesen sei oder nicht, habe demgegenüber nur indizielle Bedeutung, so die Richter.
Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Kapitalabfindungen von Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen könne in der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG nicht allein mit der Begründung verneint werden, eine solche Kapitalisierungsmöglichkeit sei in dem betreffenden Altersvorsorgevertrag von Anfang an vorgesehen gewesen, erklärten sie weiter.
BFH, Urteil vom 11.6.2019, Az. X R 7/18
Elterngeld: Der Zeitpunkt des Zuflusses ist entscheidend, nicht der der Arbeit
Grundsätzlich wird das Gehalt einer jungen Mutter als Grundlage für die Berechnung des Elterngeldes für die Zeit nach der Geburt herangezogen, das sie in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat der Entbindung erzielt hat.
Fließt ihr in diesem Zeitraum (hier war das Juli 2013 bis Juni 2014 für eine Geburt im Juli 2014) eine Gehaltsnachzahlung aus einem Monat davor zu (hier im August 2013 aus Juni), so ist diese Summe elterngelderhöhend miteinzubeziehen.
Das Bundessozialgericht ist der Auffassung, dass bei laufendem Lohn der tatsächliche Zufluss (Eingang) im Bemessungszeitraum entscheidend sei und nicht, wann das Gehalt erarbeitet worden ist.
BSG, B 10 EG 1/18 R vom 27.06.2019
Räumungskosten sind keine Nachlassverbindlichkeiten
Kosten für die Räumung einer Eigentumswohnung des Verstorbenen sind nicht abzugsfähig und mindern daher auch nicht die Erbschaftsteuer. Das hat das FG Baden-Württemberg entschieden.
Die Alleinerbin eines Verstorbenen hatte in ihrer Erbschaftsteuererklärung Kosten für die Räumung der vom Vater bis zum Tod genutzten Wohnung in Höhe von 2.685,67 Euro geltend gemacht. Das Finanzamt erkannte die Kosten nicht an, wogegen sich die Erbin wehrte.
Das FG Baden-Württemberg allerdings teilte die Auffassung des Finanzamts und erklärte, die Kosten für die Wohnungsauflösung könnten tatsächlich steuerlich nicht berücksichtigt werden. Denn eine Verpflichtung zur Räumung habe es nicht gegeben. Vielmehr seien die Kosten durch einen eigenständigen Entschluss der Erbin veranlasst worden mit dem Ziel, die Wohnung besser verwerten zu können – also selbst zu bewohnen, zu verkaufen oder zu vermieten. Es handle sich daher um nichtabzugsfähige Kosten der Verwaltung des Nachlasses.
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.5.2019, Az. 7 K 2712/18
Mietverhältnis mit Lebensgefährten wird nicht anerkannt
Manche Steuerzahler entwickeln eine erstaunliche Kreativität: Vor dem FG Baden-Württemberg wurde darum gestritten, ob ein Mietvertrag zwischen Lebensgefährten über die hälftige Nutzung der gemeinsam bewohnten Wohnung steuerlich anerkannt werden muss.
Geklagt hatte die Eigentümerin einer Immobilie mit mehreren Wohnungen, zusammen mit ihrem Lebensgefährten bewohnte sie dort die Wohnung im Obergeschoss. Der Lebensgefährte überwies ihr monatlich 350 Euro Miete und ein Haushaltsgeld in Höhe von 150 Euro.
Die Klägerin und ihr Lebensgefährte haben ein als Mietvertrag bezeichnetes Dokument unterzeichnet und darin geregelt, dass die Klägerin die Wohnung im Obergeschoss zur Hälfte für 350 Euro inklusive Nebenkosten monatlich vermietet.
Letztendlich ausschlaggeben war für die Beurteilung das Thema Fremdvergleich. Also die Frage, ob sich ein fremder Dritter auf diesen Deal eingelassen hätte. Hätte er oder sie ganz sicher nicht, lautete das eindeutige Urteil der Richter:
Ein fremder Dritter lässt sich nicht auf eine bloße Berechtigung zur Mitnutzung einer Wohnung ohne Privatsphäre ein, ohne ihm individuell und abgrenzbar zugewiesene Wohnräume.
Die Behauptung, jeder habe jeweils ein eigenes Schlafzimmer zur ausschließlichen individuellen Nutzung zur Verfügung gehabt, kann nicht überprüft werden und widersprach im vorliegenden Fall zudem dem Mietvertrag.
Eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ist auch eine Wirtschaftsgemeinschaft, deren wesentlicher Bestandteil das gemeinsame Wohnen ist. Daher ist kein zivilrechtlicher Vertrag, sondern die persönliche Beziehung der Partner die Grundlage des gemeinsamen Wohnens – die Richter sprachen anschaulich von innerer Bindung.
Beide Partner tragen nach ihren Kräften finanziell zur gemeinsamen Lebensführung bei, wozu auch das Wohnen gehört. Steuerlich ist hier nichts zu berücksichtigen.
Erbschaftsteuer: Höhere Steuerfestsetzungen trotz Rückgang des übertragenen Vermögens
Im Jahr 2018 haben die Finanzverwaltungen in Deutschland Vermögensübertragungen durch Erbschaften und Schenkungen in Höhe von 84,7 Milliarden Euro veranlagt. Das steuerlich berücksichtigte geerbte und geschenkte Vermögen fiel damit um 12,7 % gegenüber dem Vorjahr. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, stieg die festgesetzte Erbschaft- und Schenkungsteuer allerdings um 6,2 % auf 6,7 Milliarden Euro und erreichte fast wieder den Höchststand des Jahres 2016 (6,8 Milliarden Euro). Dabei entfielen auf die Erbschaftsteuer 5,7 Milliarden Euro (+13 %) und auf die Schenkungsteuer 1 Milliarde Euro (-20,8 %).
Die Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik kann keine Informationen über alle Vermögensübergänge liefern, da die meisten Erbschaften, Vermächtnisse und Schenkungen innerhalb der Freibeträge liegen. Für diese wird in der Regel keine Steuer festgesetzt, sodass sie in der Statistik nicht enthalten sind.
Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 309 vom 16.8.2019
Allgemeine Informationen
Kapitalanleger-Musterverfahren gegen VW und Porsche: LG Braunschweig nur für Ansprüche gegen VW zuständig
Mit einem Teil-Musterentscheid im Kapitalanleger-Musterverfahren der Deka Investment GmbH gegen die Volkswagen AG und die Porsche Automobil Holding SE hat das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig die Frage geklärt, an welchem Landgericht (LG) die Anleger ihre Ansprüche im Zusammenhang mit dem so genannten Dieselskandal geltend machen müssen. Danach ist für Schadenersatzansprüche wegen Informationspflichtverletzungen der Volkswagen AG ausschließlich das LG Braunschweig zuständig. Für Ansprüche wegen Informationspflichtverletzungen der Porsche SE sei hingegen das LG Stuttgart ausschließlich zuständig.
Das OLG leitet seine Entscheidung aus dem Sinn und Zweck sowie der Gesetzesbegründung der hier anwendbaren Zuständigkeitsvorschrift her. Der Gesetzgeber habe eine ausschließliche Zuständigkeit bei Klagen gegen inländische Emittenten schaffen wollen, mit denen Schadenersatzansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen geltend gemacht würden. Dem habe die Überlegung des Gesetzgebers zugrunde gelegen, dass zur Feststellung von fehlerhaften oder irreführenden Kapitalmarktinformationen stets auf Unternehmensdaten und die verlautbarten Ad-hoc-Mitteilungen am Sitz des Unternehmens zurückgegriffen werden müsse.
Der Gesetzgeber habe bei der Konzentration der Zuständigkeit auf den Sitz des betroffenen Emittenten den Ort der Sach- und Beweisnähe vor Augen gehabt. Dies korrespondiere auch mit dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitskonzentration. Die gesetzliche Regelung solle verhindern, dass die Zuständigkeit für die Beurteilung einer bestimmten öffentlichen Kapitalmarktinformation aufgrund verschiedener Gerichtsstände zersplittert werde. Dieses gesetzgeberische Ziel werde erreicht, wenn jeweils das Gericht am Sitz des Emittenten ausschließlich zuständig sei, dem eine Verletzung seiner Informationspflichten vorgeworfen werde.
Eine weitergehende Konzentration aller Ausgangsverfahren wegen Schadenersatzansprüchen aufgrund des sogenannten Dieselskandals lasse die hier anwendbare gesetzliche Regelung des § 32b Zivilprozessordnung hingegen nicht zu, betont das OLG. Daraus ergebe sich in der Konsequenz, dass das LG Braunschweig für Schadenersatzansprüche gegen die Volkswagen AG und das LG Stuttgart für Schadenersatzansprüche gegen die Porsche SE ausschließlich zuständig sei.
Gegen den Teil-Musterentscheid kann Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof eingelegt werden. Die Einlegung der Rechtsbeschwerde würde die Fortsetzung des Verfahrens nicht hindern.
Oberlandesgericht Braunschweig, PM vom 12.08.2019 zu Entscheidung vom 12.08.2019
Rechtliche Gestaltung im Zusammenhang mit Bondstripping kann missbräuchlich sein
Das FG Düsseldorf hat mit Urteil vom 29.03.2019 (Az. 1 K 2163/16 E,F) zu der steuerlichen Behandlung einer Gestaltung Stellung genommen, bei der mittels eines so genannten Bondstrippings der Unterschied zwischen dem Abgeltungsteuersatz und dem individuellen Einkommensteuertarif genutzt werden sollte, um Steuervorteile zu erlangen.
Der Kläger erwarb 2013 eine deutsche Bundesanleihe mit einer Laufzeit von über 20 Jahren. Nach einer Teilung der Anleihe im Wege des so genannten Bondstrippings veräußerte er die Zinsscheine an eine Bank. Den Anleihemantel veräußerte er an eine GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Kläger war. Die GmbH wiederum veräußerte den Anleihemantel weiter. Die Mittel zum Erwerb des Anleihemantels hatte der Kläger der GmbH darlehensweise zur Verfügung gestellt. Zwischen dem Erwerb der Bundesanleihe und den Veräußerungen vergingen circa zwei Wochen.
Wenige Tage später wiederholte der Kläger dieses Vorgehen (Erwerb einer Bundesanleihe, Bondstripping, Veräußerung der Zinsscheine, Veräußerung des Anleihemantels an die GmbH und Weiterveräußerung durch die GmbH).
Der Beklagte sah in der vom Kläger gewählten Gestaltung einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten. Die Verluste aus der Veräußerung der Anleihemäntel seien lediglich mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, insbesondere den Gewinnen aus der Veräußerung der Zinsscheine, verrechenbar.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger eine Erhöhung seiner Einkommensteuerfestsetzung 2013 und die Feststellung eines verrechenbaren Verlustes, der sich über einen Verlustrücktrag in das Jahr 2012 steuerlich auswirken sollte. Er vertrat die Ansicht, dass die Erlöse aus der Veräußerung der Zinsscheine der Abgeltungssteuer unterlägen. Durch die Veräußerung der Anleihemäntel habe er einen verrechenbaren Verlust erlitten, der dem allgemeinen Einkommensteuertarif unterliege. Die Anschaffungskosten der Bundesanleihen seien nach dem Bondstripping ausschließlich den Anleihemänteln zuzuordnen.
Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Zwar unterliege der Gewinn aus der Veräußerung der Zinsscheine grundsätzlich dem Abgeltungssteuersatz, während der Verlust aus der Veräußerung der Anleihemäntel grundsätzlich dem allgemeinen Steuertarif unterliege. Der Verlust aus der Veräußerung der Anleihemäntel sei aber erheblich geringer als der vom Kläger geltend gemachte Betrag. Die vorzunehmende Neuberechnung führe zu einer Herabsetzung der Einkommensteuer 2013, was vom Kläger aber nicht begehrt werde und daher nicht ausgesprochen werden dürfe.
Das FG entschied, dass die Anschaffungskosten der im Privatvermögen gehaltenen Bundesanleihen nach dem Bondstripping auf den Anleihemantel und die Zinsscheine aufzuteilen seien. Zwar greife das Bondstripping nicht in die Substanz der Anleiheforderung ein. Durch das Bondstripping seien aber die zukünftigen Zinsansprüche zu eigenständigen Wirtschaftsgütern geworden. Dies führe zu einer Wertminderung des Anleihemantels. Aufteilungsmaßstab seien die jeweiligen Marktwerte des Anleihemantels einerseits und der Zinsscheine andererseits.
Das FG führte außerdem aus, dass die Klage auch dann keinen Erfolg gehabt hätte, wenn die Anschaffungskosten der Bundesanleihen vollständig dem Anleihemantel zugeordnet würden. In diesem Fall läge ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vor. Die durchgeführten Transaktionen hätten allein der Steuerminderung gedient. Es hätten hohe dem allgemeinen Steuertarif unterliegende und voll verrechenbare Verluste generiert werden sollen, denen entsprechend hohe positive Einkünfte gegenüberstehen, die lediglich dem Abgeltungssteuersatz unterliegen. Auch die Zwischenschaltung der vom Kläger beherrschten GmbH stelle einen Gestaltungsmissbrauch dar; sie habe nur dazu gedient, die Veräußerungsverluste aus dem Anwendungsbereich der Abgeltungssteuer herauszunehmen.
Bezüglich der Aufteilung der Anschaffungskosten der im Privatvermögen gehaltenen Bundesanleihe nach einem Bondstripping hat das FG dem Zwischenurteil des FG Düsseldorf vom 17.12.2018 (2 K 3874/15 F) widersprochen.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die vom FG zugelassene Revision ist unter dem Aktenzeichen VIII R 15/19 beim Bundesfinanzhof anhängig.
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 29.03.2019, 1 K 2163/16 E,F, nicht rechtskräftig
Ohne Zustimmung der Miteigentümer installierte Klimaaußenanlage wieder zu entfernen
Ein ohne die erforderliche Zustimmung der Miteigentümer installierte Klimaaußenanlage muss wieder entfernt werden. Dies hat das Amtsgericht (AG) München entschieden und ein Ehepaar dazu verurteilt, die auf der Sondernutzungsfläche vor seiner Erdgeschosswohnung installierte Klimatruhe einschließlich Einhausung und Versorgungsleitungen zu beseitigen und die Durchdringung der Fassade wieder ordnungsgemäß zu verschließen.
Die Beklagten und die Mitglieder der Klägerin sind Wohnungseigentümer einer Eigentumswohnanlage. Den Beklagten steht ein Sondernutzungsrecht an ihrer Terrasse zu. Im Mai 2018 bauten sie ohne die Zustimmung der übrigen Miteigentümer eine Klimaanlage auf ihrer Terrassenfläche ein. Dabei wurden Leitungen durch den Fensterrahmen in den Keller verlegt. Die Klimaanlage umgibt eine Verkleidung mit dünnen weißen Holzlatten. In der Eigentümerversammlung wurde der Antrag der Beklagten auf nachträgliche Genehmigung des Einbaus der Klimaanlage mehrheitlich abgelehnt. Gleichzeitig wurde die Hausverwaltung angewiesen, die gerichtliche Durchsetzung des Beseitigungsverlangens zu beauftragen. Die Beklagten haben trotz Aufforderungsschreiben weder die Klimaanlage noch die entstandenen Schäden beseitigt.
In der Gemeinschaftsordnung der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) ist festgelegt, dass die Sondernutzungsflächen nur entsprechend ihrer Zweckbestimmung benutzt und bauliche Veränderungen nicht einseitig vorgenommen werden dürfen. Die klagende WEG meint, dass die Installierung der Klimaanlage eine bauliche Veränderung darstelle. Die übrigen Eigentümer seien über das hinzunehmende Maß hinaus insoweit beeinträchtigt, als die Anlage das optische Erscheinungsbild störe und die Installierung zu erheblicher Beschädigung von Gemeinschaftseigentum geführt habe, insbesondere in Gestalt von Durchdringungen der Fassade in das Wohnungsinnere. Schließlich löse der Betrieb der Anlage erhebliche Lärmbeeinträchtigungen von bis zu 50 dBA aus.
Die Beklagten tragen vor, dass sie ein Kleinkind haben, das sehr stark unter der Hitze, die sich in den nächsten Jahren wohl noch steigern werde, leide. Eine Ausweichmöglichkeit, wie etwa während der heißen Periode zu verreisen, bestehe mit kleinen Kindern gerade nicht. Beim Einsetzen der Klimaanlage seien lediglich Leitungen durch den Fensterrahmen in den Keller verlegt worden. Die Klimaanlage umgebe eine unauffällige Verkleidung aus weiß lackierten Holzgittern. Die Beklagten meinen, dass der Einbau der Klimaanlage nicht das gemeinschaftliche Eigentum tangiere. Es habe keine Bohrung an der Außenwand stattgefunden. Darüber hinaus wäre eine Zustimmung lediglich der unmittelbar betroffenen Nachbarn erforderlich, wenn nur diese beeinträchtigt sind.
Das AG München gab der Klagepartei Recht: Die Beklagten hätten in unberechtigter Weise ohne Genehmigung der Wohnungseigentümer ein Klimagerät auf ihrer Sondernutzungsfläche errichtet, wobei sie die Leitungen für das Klimagerät durch ein gebohrtes Loch in dem Fensterrahmen in den Keller hinunter verlegt hätten. Dadurch liege insgesamt eine bauliche Veränderung vor. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Wohnungseigentümer liege bereits darin, dass zur Leitungsführung des Klimagerätes die Fenster, die im Gemeinschaftseigentum stehen, durchbohrt worden seien. Sei ein solcher Nachteil festgestellt worden, so müsse in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob dieser das bei einem geordneten Zusammenleben der Wohnungseigentümer unvermeidliche Maß überschreitet. Hier beriefen sich die Kläger auf die körperliche Unversehrtheit ihres Kleinkindes. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Installierung einer Außen-Klimaanlage nicht die einzige Möglichkeit sei, um heiße Räume im Sommer abzukühlen. Es bestehe auch die Möglichkeit der Anschaffung einer Innenklimaanlage, hebt das AG München hervor.
Die hier streitgegenständliche bauliche Veränderung des Einbaus eines Klimagerätes sei allein schon deshalb zurückzubauen, weil die Beklagten das Klimagerät bereits eingebaut hätten, ohne zuvor einen genehmigenden Eigentümerbeschluss eingeholt zu haben. Da hier das Aufstellen des Klimagerätes nicht genehmigt und auch ein Antrag der Beklagten in der (Eigentümerversammlung) auf Genehmigung des Klimagerätes abgelehnt worden sei, sei dieses zu beseitigen und der ursprüngliche Zustand wiederherzustellen gewesen.
Amtsgericht München, Urteil vom 26.03.2019, 484 C 17510/18 WEG, rechtskräftig
BSG: Waisenrente aus Direktversicherung nicht beitragspflichtig
Betriebliche Direktversicherung: Die Todesfallleistung, die eine Tochter erhält, ist nicht beitragspflichtig, wenn sie älter als 27 Jahre ist.
Alle Welt klagt über die horrende Belastung mit Krankenversicherungsbeiträgen auf Betriebsrenten. Doch der Gesetzgeber kommt hierbei nicht in die Gänge.
Nun hat das Bundessozialgericht (BSG) – selten, aber wahr – in Sachen Krankenversicherungsbeiträge auf betriebliche Versorgungsleistungen ein versichertenfreundliches Urteil gefällt.
Eine Tochter, die aus einer betrieblichen Direktversicherung ihres verstorbenen Vaters eine Todesfallleistung erhält, muss von dieser keine Beiträge an die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung zahlen.
Strittig war, ob die Todesfallleistung in Höhe von 82.549 Euro, die eine Tochter 2013 als Kapitalleistung aus der Direktversicherung ihres Vaters erhalten hatte, beitragspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist. Die Tochter war – was für das Urteil entscheidend war – zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits 35 Jahre alt.
Die Krankenkasse der Betroffenen sah die bezogene Leistung komplett als beitragspflichtig an und teilte die Einmalzahlung rechnerisch auf 120 Monate auf, was einem Monatsbetrag von 688 Euro entspricht. Hierauf erhob die Kasse die vollen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, monatlich waren das rund 120 Euro.
Das BSG befand das – anders als die beiden Vorinstanzen – als rechtswidrig. Beitragspflichtig sei die Einmalzahlung an Erben nur, wenn die Leistung "zur Hinterbliebenenversorgung erzielt" wurde. Wenn es um ein Kind geht, sind dabei die Regelungen von § 48 SGB VI zur Waisenrente maßgeblich. Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente besteht danach längstens "bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres".
Danach kann das Kind keine Rentenleistungen nach dem Tod eines Elternteils mehr erhalten, und deshalb entfällt spätestens zu diesem Zeitpunkt der auf eine "Sicherung von Hinterbliebenen" bezogene Versorgungszweck auch von Direktversicherungen des Arbeitgebers.
Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem der (potenziellen) Hinterbliebenen Leistungen aus der Direktversicherung zufließen können, also der Todeszeitpunkt des Berechtigten. Ist das "Kind" dann nicht mehr im rentenversicherungsrechtlichen Sinne ein anspruchsberechtigter Hinterbliebener, fließen ihm Zahlungen aus der Versicherung nicht mehr "zum Zweck der Hinterbliebenenversorgung" zu.
Im entschiedenen Fall hatte die Erbin zum Zeitpunkt des Erbfalls diese Höchstaltersgrenze deutlich überschritten. Damit war – so das BSG – "vorliegend der Versorgungszweck bei Eintritt des Versicherungsfalls im Frühjahr 2013 nicht mehr gegeben".
Bundessozialgericht, Urteil vom 26.2.2019, Az. B 12 KR 12/18 R
Schulpflichtiges Kind lebt mit Elternteil im Ausland: Kindergeld?
Kindergeld wird nur für Kinder gezahlt, die in Deutschland einen Wohnsitz haben ("Inlandskinder"). Besucht das Kind für mehr als ein Jahr eine Schule in einem Nicht-EU-/EWR-Staat (z.B. Studium in den USA), zählt es nur dann als Inlandskind, wenn es mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit in Deutschland wohnt.
Ob im obigen Fall auch dann Anspruch auf Kindergeld besteht, wenn das Kind nicht allein, sondern mit einem Elternteil im Ausland lebt, muss jetzt der BFH klären. Im Streitfall hielt sich ein Kind in Begleitung seiner Mutter mehrere Jahre in Pakistan auf, um dort die Schule zu besuchen. Beide verbrachten jeweils die dreimonatigen Sommerferien gemeinsam mit dem Rest der Familie in der deutschen Familienwohnung. Die Familienkasse versagte hier das Kindergeld, weil das Kind keinen Wohnsitz mehr in Deutschland gehabt und sich in den Sommerferien nur zu Besuch in Deutschland aufgehalten hätte. Nach Meinung des Finanzgerichts hatte das Kind aber seinen inländischen Wohnsitz beibehalten, weshalb Kindergeld zu gewähren sei. Die Familienkasse hat gegen das FG-Urteil Revision eingelegt (Az. III R 46/18).
Keine Krankenversicherung der Rentner für Beamtengattin
Auch unter Anrechnung von Kindererziehungszeiten kann eine privat krankenversicherte Beamtengattin nicht in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) wechseln. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen bestätigt.
Die Klägerin erzog sechs Kinder. In der Zeit von 1990 bis 2000 war sie aufgrund ihrer Berufstätigkeit bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versichert. Seit 2001 verfügt sie über ihren Ehemann, einen zwischenzeitlich pensionierten Beamten, über einen Beihilfeanspruch in Höhe von 70 Prozent. Im Umfang der restlichen 30 Prozent unterhält sie eine private Krankenversicherung. Seit 2008 bezieht die Klägerin Altersrente. Nach der Neuregelung des § 5 Absatz 2 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zum 01.08.2017 beantragte sie die Aufnahme in die KVdR, was die Beklagte ablehnte.
Auch das LSG hat nun festgestellt, dass die Klägerin nicht von der Gesetzesänderung profitiere. Zwar seien danach für die Erziehung pro Kind drei Jahre auf die für die Aufnahme in die KVdR erforderliche Mitgliedszeit anzurechnen. Allerdings schließe § 6 Absatz 3a SGB V eine Mitgliedschaft aus. Denn die Klägerin sei am 01.08.2017 bereits älter als 55 Jahre und in den letzten fünf Jahren zuvor nicht gesetzlich versichert gewesen. Zudem werde ihr die Versicherungsfreiheit ihres Ehemannes zugerechnet.
Die Neuerung hinsichtlich der Erziehungszeiten ändere nichts am Ziel der Ausschlussregelung, die Beitragszahler vor einer unzumutbaren Belastung infolge eines Wechsels zwischen den Versicherungssystemen der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung zu schützen. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn derjenige versicherungsfrei sein solle, der der Sphäre der privaten Krankenversicherung zuzuordnen sei und gerade nicht über einen ausreichenden Bezug zur gesetzlichen Krankenversicherung verfüge, wie dies bei Ehegatten von Beamten (beziehungsweise Pensionären) der Fall sei.
Die Ausdehnung der Versicherungsfreiheit auf diese sei auch nicht gleichheitswidrig, unterstreicht das LSG. Da es sich bei der Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung um einen überragend wichtigen Gemeinwohlbelang handele, könne der Gesetzgeber den Kreis der Pflichtversicherten so abgrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich sei.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.05.2019, L 5 KR 658/18
Arbeitnehmer
Verkauf der Zweitwohnung bei Beendigung einer doppelten Haushaltsführung: Vorfälligkeitsentschädigung nicht als Werbungskosten absetzbar
Wird im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung eine Zweitwohnung am Beschäftigungsort erworben, sind damit im Zusammenhang stehende Finanzierungskosten und Schuldzinsen als Unterkunftskosten absetzbar. Endet die doppelte Haushaltsführung und die Zweitwohnung wird verkauft, stellt sich die Frage, ob auch eine wegen der Darlehensablösung an die Bank zu zahlende Vorfälligkeitsentschädigung als Werbungskosten abziehbar ist. Ein Finanzamt lehnte das ab.
Leider zu Recht, denn der BFH hat diese Auffassung bestätigt: Durch die Beendigung der doppelten Haushaltsführung und den Verkauf der Wohnung wird der ursprünglich in der "beruflichen" Nutzung der Immobilie wurzelnde Veranlassungszusammenhang mit den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit aufgelöst und ein neuer Veranlassungszusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft begründet. Bei der Vorfälligkeitsentschädigung handelt es sich folglich nicht um Mehraufwendungen, die wegen der beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung (oder deren Beendigung) entstanden waren, sondern um das Ergebnis der auf eine vorzeitige Kreditablösung gerichteten Änderung des ursprünglichen Darlehensvertrags. Deshalb ist die Vorfälligkeitsentschädigung nicht den Werbungskosten aus nichtselbstständiger Arbeit, sondern dem Verkauf der Wohnung zuzuordnen
BFH-Urteil vom 3.4.2019, Az. VI R 15/17
Probetag: Unfallversicherungsschutz greift
Ein Arbeitsuchender, der in einem Unternehmen einen "Probearbeitstag" verrichtet und sich dabei verletzt, ist gesetzlich unfallversichert. Dies hat das Bundessozialgericht entschieden.
Der Kläger hat zwar nicht als Beschäftigter unter Versicherungsschutz gestanden, als er an dem "Probearbeitstag" Mülltonnen transportierte und dabei vom Lkw stürzte. Ein Beschäftigungsverhältnis lag nicht vor, weil der Kläger noch nicht auf Dauer in den Betrieb des Entsorgungsunternehmers eingegliedert war.
Da der Kläger aber eine dem Entsorgungsunternehmer dienende, dessen Willen entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht hat, die einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ähnlich ist, war der Kläger als "Wie-Beschäftigter" gesetzlich unfallversichert. Insbesondere lag die Tätigkeit nicht nur im Eigeninteresse des Klägers, eine dauerhafte Beschäftigung zu erlangen. Denn der Probearbeitstag sollte gerade auch dem Unternehmer die Auswahl eines geeigneten Bewerbers ermöglichen und hatte damit für ihn einen objektiv wirtschaftlichen Wert.
BSG, Pressemitteilung vom 20.08.2019 zum Urteil B 2 U 1/18 R vom 20.08.2019
Der Chef darf ein Attest vom ersten Tag an verlangen
Meldet sich ein Arbeitnehmer mehrfach für einen Tag krank, so kann der Arbeitgeber verlangen, dass er künftig vom ersten Tag seiner Arbeitsunfähigkeit an ein Attest eines Arztes darüber vorzulegen hat. Das gilt auch dann, wenn im Arbeitsvertrag geregelt ist, dass erst vom dritten Tag der Krankheit an eine "AU-Bescheinigung" vorgelegt werden muss.
Das Landesarbeitsgericht München ist dem Wunsch eines Lagerarbeiters nicht gefolgt, eine Abmahnung aus der Personalakte streichen zu lassen, die er sich eingefangen hatte, weil er trotz des schriftlichen Hinweises über die neue Regelung tageweise ohne AU fehlte und auch eine Ermahnung keine Besserung gebracht hatte.
LAG München, 4 Sa 514/18 vom 13.12.2018
Sachgrundlose Befristung 22 Jahre nach Vorbeschäftigung rechtmäßig
Wird ein Arbeitnehmer 22 Jahre nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erneut bei demselben Arbeitgeber eingestellt, gelangt das in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG bestimmte Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift regelmäßig nicht zur Anwendung. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.
Die Klägerin war in der Zeit vom 22. Oktober 1991 bis zum 30. November 1992 bei der Beklagten als Hilfsbearbeiterin für Kindergeld beschäftigt. Mit Wirkung zum 15. Oktober 2014 stellte die Beklagte die Klägerin als Telefonserviceberaterin im Servicecenter erneut ein. Das zunächst bis zum 30. Juni 2015 sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis wurde später bis zum 30. Juni 2016 verlängert. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung am 30. Juni 2016 geendet hat. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben.
Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte Erfolg. Die Befristung des Arbeitsvertrags ist ohne Sachgrund wirksam. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes zwar nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2018 (Az. 1 BvL 7/14, 1 BvR 1375/14) können und müssen die Fachgerichte jedoch durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken, soweit das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar ist, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung kann danach u. a. dann unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt. Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend, da die Vorbeschäftigung bei der erneuten Einstellung 22 Jahre zurücklag. Besondere Umstände, die dennoch die Anwendung des in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG bestimmten Verbots gebieten könnten, liegen nicht vor.
BAG, Pressemitteilung vom 21.08.2019 zu Urteil vom 21.08.2019, Az. 7 AZR 452/17
Steuerberatungskosten bei Nettolohnvereinbarung: BFH ändert Rechtsprechung!
Der BFH ändert seine Meinung und sagt: Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Nettolohnvereinbarung abgeschlossen haben, führt die Übernahme von Steuerberatungskosten des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber nicht zu steuerpflichtigem Arbeitslohn.
Die Richter erklärten, der Arbeitgeber habe die Steuerberatungskosten nicht zur Entlohnung der Arbeitnehmer übernommen, sondern in seinem ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse. Denn durch die Einschaltung einer Steuerberatungsgesellschaft habe der Arbeitgeber eine möglichst weitgehende Reduzierung der Einkommensteuern der Arbeitnehmer erreichen wollen – und damit auch seiner eigenen Lohnkosten.
Im entschiedenen Fall hatten die Arbeitnehmer ihre Steuererstattungsansprüche an den Arbeitgeber abgetreten. Entscheidend war daher, dass nur der Arbeitgeber von dem wirtschaftlichen Ergebnis der Steuerberatung profitieren konnte. Bei einer derartigen Sachlage, so die Richter, stelle die Übernahme der Kosten für die Erstellung der Einkommensteuererklärungen keinen Arbeitslohn dar.
Die Richter betonten zudem, dass es für die Entscheidung nicht von Bedeutung gewesen sei, dass in dem konkreten Streitfall die Arbeitnehmer aus dem Ausland entsandt worden waren: Für einen reinen Inlandssachverhalt wäre ebenso zu entscheiden gewesen.
BFH-Urteil vom 9.5.2019, Az. VI R 28/17
Blasenkrebs eines Kfz-Mechanikers als Berufskrankheit anzuerkennen
Das Landessozialgericht (LSG) Hessen hat eine Berufsgenossenschaft dazu verpflichtet, den Blasenkrebs eines Kfz-Mechanikers als Berufskrankheit anzuerkennen. Zu den Berufskrankheiten zähle nach der BK Nr. 1301 auch ein Blasentumor durch aromatische Amine wie dem o-Toluidin. Diesem Gefahrstoff sei der Kfz-Mechaniker insbesondere vor dem Verbot bleihaltiger Ottokraftstoffe wegen der darin enthaltenen Azo-Farbstoffe in relevantem Umfang ausgesetzt gewesen.
Der 1961 geborene Mann hatte 1977 eine Kfz-Mechaniker-Ausbildung begonnen und arbeitete anschließend als Kundendienstberater und Kfz-Mechaniker, später auch als Werkstattmeister. Im Alter von 38 Jahren wurde bei ihm ein Blasentumor diagnostiziert. Der Präventionsdienst stellte fest, dass in den Jahren 1964 bis 1994 in Ottokraftstoffen (Normal und Super) Bleiverbindungen eingesetzt wurden, die regelmäßig zur Kennzeichnung den Farbstoff Sudan Rot enthielten. Hierbei handelt es sich um einen Azofarbstoff, aus dem das aromatische Amin o-Toluidin freigesetzt werden kann.
Die Berufsgenossenschaft lehnte jedoch eine Anerkennung als Berufskrankheit wegen einer zu geringen Exposition ab. Ein Sachverständigengutachten habe ergeben, dass bei Kfz-Mechanikern keine Risikoverdopplung vorläge. Im gerichtlichen Verfahren wurde unter anderem ein toxikologisches Gutachten eingeholt, wonach die Exposition des Kfz-Mechanikers gegenüber kanzerogenen Aminen mit hoher Wahrscheinlichkeit den Harnblasenkrebs verursacht habe.
Das LSG Hessen verurteilte die Berufsgenossenschaft zur Anerkennung einer Berufskrankheit. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass der Gefahrstoff o-Toluidin den Blasenkrebs des Kfz-Mechanikers verursacht habe. Der Gefahrstoff o-Toluidin gehöre zu den Stoffen, denen im Hinblick auf ihr kanzerogenes Potenzial die größte Bedeutung zugemessen werde. Nach Abschnitt III der MAK-Werte-Liste sei dieses Amin in die Kategorie 1 und damit als ein gesichert beim Menschen krebserzeugender Arbeitsstoff eingestuft. Dieser Gefahrstoff sei nach dem gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis daher generell geeignet, beim Menschen bösartige Neubildungen der Harnwege im Sinne der BK Nr. 1301 zu verursachen.
Auch wenn der Umfang der Gefahrstoff-Exposition des Kfz-Mechanikers nicht mehr genau festzustellen sei, sei in diesem Fall nicht von einer nur geringen Menge auszugehen. Insbesondere für die ersten Jahre der Tätigkeit des Kfz-Mechanikers sei von einer vergleichsweisen höheren Einwirkung auszugehen. Hierbei sei neben dem Kontakt zu Kraftstoffen auch die Exposition gegenüber Motorenöl wegen des besonders hohen Anteils an dem Farbstoff Sudan Rot zu berücksichtigen.
Ferner habe der Verordnungsgeber keinen Schwellenwert festgeschrieben und damit den Gefahrstoff auch niedrigschwellig als gefährlich eingestuft. Auch in der Wissenschaft gebe es keinen Konsens über eine Forderung nach einer Mindest- oder Schwellendosis. Entgegen der Auffassung der Berufsgenossenschaft sei daher eine Risikoverdoppelung nicht Voraussetzung für die Anerkennung der BK Nr. 1301.
Zudem erfülle der Kfz-Mechaniker auch weitere Kriterien, die für einen Zusammenhang der Krebserkrankung und der beruflichen Exposition gegenüber relevanten Gefahrstoffen sprächen. So sei er bereits im Alter von 38 Jahren erkrankt, während das mittlere Erkrankungsalter bei Männern 70 Jahre betrage. Auch entspreche die Latenzzeit von 22 Jahren der für beruflich bedingte Harnblasenkarzinome. Außerberufliche Ursachen seien ferner nicht festzustellen. Insbesondere habe der Kfz-Mechaniker nicht geraucht. Tabakkonsum – das wichtigste Risiko für Harnblasenkrebs – scheide damit als Ursache aus.
Das LSG hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Landessozialgericht Hessen, L 3 U 48/13
Mietkosten können auch nach Beendigung der doppelten Haushaltsführung abzugsfähig sein
Die Miete für eine ursprünglich für eine doppelte Haushaltsführung genutzte Wohnung kann nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer einer neuen Arbeitsplatzsuche als vorweggenommene Werbungskosten abgezogen werden. Dies hat das Finanzgericht (FG) Münster entschieden.
Der Kläger ging einer Beschäftigung in Berlin nach, hatte seinen Lebensmittelpunkt aber weiterhin in Nordrhein-Westfalen. Nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zum 31.08.2015 behielt er seine Wohnung in Berlin bei und bewarb sich in der Folgezeit auf eine Vielzahl von Arbeitsplätzen im gesamten Bundesgebiet, von denen drei in Berlin und Umgebung lagen. Nach Zusage einer Stelle in Hessen zum 01.01.2016 kündigte der Kläger die Mietwohnung in Berlin fristgerecht zum 29.02.2016.
Das Finanzamt erkannte die Mietkosten für die Wohnung in Berlin nur bis zum Ende der mietvertraglichen Kündigungsfrist der Wohnung damit bis einschließlich November 2015 an. Der Kläger begehrte demgegenüber einen Werbungskostenabzug auch für die Dezembermiete in Höhe von rund 240 Euro.
Das FG Münster hat der Klage stattgegeben. Die Miete für den Monat Dezember 2015 sei zwar nicht mehr durch die doppelte Haushaltsführung veranlasst. Bei den Aufwendungen handele es sich jedoch um vorweggenommene Werbungskosten, denn es sei ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen erkennbar. Der Kläger habe sich weiterhin auf Arbeitsstellen in Berlin und Umgebung beworben und die Wohnung unmittelbar nach Zusage einer neuen Arbeitsstelle an einem anderen Ort gekündigt. Aus diesem Grund werde die mögliche private Nutzung der Wohnung, etwa für mögliche Wochenendbesuche, überlagert. Zu berücksichtigen sei auch, dass eine vorzeitige Kündigung und eine etwaige Neuanmietung einer anderen Wohnung für den Kläger teurer gewesen wären als die Beibehaltung der verhältnismäßig günstigen Wohnung.
Das FG hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.
Finanzgericht Münster, Urteil vom 12.06.2016, 7 K 57/18 E, nicht rechtskräftig
Regelung zu Staffelung des 13. Monatsgehalts verschiebt Entstehungszeitpunkt nicht
Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, wonach das 13. Monatsgehalt gestaffelt in monatlichen Raten ausgezahlt wird, stellt keine Verschiebung des Entstehungszeitpunkts dar. Dies hat das Sozialgericht (SG) Stuttgart entschieden.
Die Beteiligten stritten darüber, ob ein 13. Monatsgehalt im Rahmen des Bezugs von Insolvenzgeld zu berücksichtigen ist. Der anzuwendende Tarifvertrag sieht hierzu vor, dass das 13. Monatsgehalt zum Ende der ersten Dezemberwoche (Auszahlungszeitpunkt) gezahlt wird. Voraussetzung für den Anspruch sollte sein, dass der Arbeitnehmer mit Ablauf des Kalenderjahres zwölf Monate ununterbrochen dem Betrieb angehört hat. Eine zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarung regelt hierzu, dass die Jahressonderzahlung im Jahr 2017 gestaffelt in monatlichen Raten von mindestens 1.000 Euro ab November 2017 ausgezahlt wird. Mit der Abrechnung April 2018 sollte nach dieser Regelung dann die Zahlung des Restbetrages erfolgen.
Nachdem am 01.04.2018 das Insolvenzverfahren gegen die Arbeitgeberin eröffnet wurde, beantragte der Kläger bei der Beklagten Insolvenzgeld. Dieses wurde ihm ohne Berücksichtigung des 13. Monatsgehalts bewilligt. Die Jahressonderzahlung habe keine Berücksichtigung finden können, da sie außerhalb des dreimonatigen Insolvenzgeldzeitraumes (01.01.2018 bis 31.03.2018) entstanden sei. Der Kläger verweist darauf, dass durch die Regelung in der Betriebsvereinbarung nicht nur die Fälligkeit, sondern auch der Entstehungszeitpunkt des Anspruchs verschoben worden sei. Da diese neuen Entstehungszeitpunkte zum Teil im Insolvenzgeldzeitraum liegen, seien sie auch bei der Höhe des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen.
Das SG hat die Klage abgewiesen. Die Betriebsvereinbarung habe den für die Entstehung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung entscheidenden Stichtag 31.12.2017 nicht verschoben. Die Regelung in der Betriebsvereinbarung stelle lediglich eine Stundungsvereinbarung dar.
Sozialgericht Stuttgart, Gerichtsbescheid vom 28.01.2019, S 11 AL 3372/18
Freiberufler
Auf den Namen in der Signatur kommt es an
Das EGVP-System sieht vor, dass einer Nachricht grundsätzlich die "Visitenkarte" des Senders beigefügt wird. Letztlich handelt es sich dabei um einen Auszug aus dem EGVP-Verzeichnis, das bei Anwälten wiederum Teil des Bundesweiten Amtlichen Anwaltsverzeichnisses ist. Zuständig für die Eintragungen in diesem Gesamtverzeichnis sind die Rechtsanwaltskammern. Die Visitenkarte soll letztlich eine Zuordnung des Absenders erleichtern und weitere Kommunikationsdaten bereitstellen.
Aber was passiert, wenn sich Abweichungen zwischen den Angaben in dem elektronischen Dokument oder auch dem beigefügten Zertifikat und den Daten in der beA-Nachricht, speziell in der Visitenkarte, ergeben? Das OLG Naumburg hatte in diesem Zusammenhang einen vergleichsweisen einfach gelagerten Fall zu entscheiden, der allerdings in Zukunft schwierigere Probleme vermuten lässt (Urt. v. 14.11.2018, Az. 12 U 59/18).
Eine Klägerin ließ eine Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil einlegen. Dazu fügte die beauftragte Rechtsanwältin M ihr (wohl qualifiziert elektronisches) Zertifikat dem elektronischen Schriftsatz bei und übermittelte diesen über EGVP an das Gericht. Aus dem Prüfungsprotokoll ergab sich die Gültigkeit der Signatur. Allerdings wies die erwähnte Visitenkarte als Kanzlei "Rechtsanwälte G., Sch., Z. & Koll." aus. Aus dem Prüfbericht zu einem Zertifikat, das in den Urteilsgründen leider nicht näher spezifiziert wird, ergab sich als Kanzleiname "Rechtsanwälte B., Sch., Z. & Kollegen". Die gegnerische Partei war nun der Auffassung, dieser Widerspruch führe zur Unwirksamkeit des Schriftsatzes.
Das OLG Naumburg hingegen ging von der Wirksamkeit des Schriftsatzes aus. Es komme nicht darauf an, von welcher technischen Einrichtung aus einem Schriftsatz an das Gericht gesandt werde. Vielmehr sei allein maßgeblich, dass der formbedürftige Schriftsatz mit der laut Prüfprotokoll gültigen Signatur der die Klägerin vertretenden Rechtsanwältin M. übermittelt worden sei. Gehe eine Berufungsschrift bzw. eine Berufungsbegründungsschrift im elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach bei Gericht ein, sei es für die Wahrung der Frist ohne Belang, dass die Angaben zur Rechtsanwaltskanzlei in Visitenkarte und Zertifikat laut Prüfunterlagen nicht identisch seien.
Der Entscheidung dürfte dahingehend zuzustimmen sein, dass nach § 130a III Alt. 1 ZPO (allein) durch das Anbringen einer gültigen qualifizierten elektronischen Signatur die prozessuale Form gewahrt werden kann. Weitergehende Aussagen erscheinen allerdings bedenklich, so beispielsweise, dass es entgegen § 4 I ERVV nicht maßgeblich sein solle, von welcher technischen Einrichtung aus einem Schriftsatz an das Gericht gesandt werde. Unklar bleibt in der Entscheidung zudem, welches Zertifikat die widersprüchlichen Angaben enthalten haben soll. So ist z. B. im Zertifikat einer beA-Karte Signatur der Kanzleiname schon gar nicht vermerkt. Vermutlich wurde auch nicht beA genutzt. Denn dort erscheint der Kanzleiname nicht in der Visitenkarte.
BRAK , Mitteilung vom 22.08.2019 zum Urteil des OLG Naumburg 12 U 59/18 vom 14.11.2018
Prüfingenieure üben freiberufliche Tätigkeit aus
Prüfingenieure, die Hauptuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen durchführen, erzielen Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Voraussetzung ist allerdings, dass sie insoweit leitend und eigenverantwortlich tätig werden. Das geht aus einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) hervor.
Hieran fehle es jedoch bei einer Personengesellschaft, deren Gesellschafter zwar Prüfingenieure sind, die jedoch den überwiegenden Teil der Prüftätigkeiten durch angestellte Prüfingenieure durchführen lasse und sie dabei nur stichprobenartig überwache.
Im Streitfall führte die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, unter anderem Haupt- und Abgasuntersuchungen durch. Ihre Gesellschafter waren selbst Prüfingenieure. Den überwiegenden Teil der im Streitjahr 2009 durchgeführten Haupt- und Abgasuntersuchungen hatten allerdings die drei bei der Klägerin angestellten Prüfingenieure übernommen. Das Finanzamt war der Meinung, die Klägerin erziele gewerbliche Einkünfte und setzte dementsprechend auch Gewerbesteuer fest. Dies hat der BFH in seiner aktuellen Entscheidung als zutreffend bestätigt.
Der BFH hat zwar die Tätigkeit der Gesellschafter der Klägerin als freiberuflich beurteilt, soweit sie selbst Hauptuntersuchungen durchgeführt hatten. Soweit die Klägerin den überwiegenden Teil der Prüftätigkeiten durch angestellte Prüfingenieure habe durchführen lassen, fehle es jedoch an einer eigenverantwortlichen Tätigkeit der Gesellschafter. Die angestellten Prüfingenieure hätten die Hauptuntersuchungen eigenständig durchgeführt und seien dabei lediglich stichprobenartig von den Gesellschaftern der Klägerin überwacht worden. Die Klägerin erziele daher insgesamt gewerbliche Einkünfte (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG).
Der BFH betont, dass eine gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG unschädliche Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte auch für technische Berufe wie den des Ingenieurs voraussetzt, dass die Leistung als solche des Berufsträgers erkennbar und ihm damit persönlich zurechenbar ist. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ermächtige weder dazu, Routineaufgaben vollständig auf einen angestellten Berufsträger zu delegieren, noch dem Berufsträger eine Tätigkeit als eigene zuzurechnen, die tatsächlich ein anderer, angestellter Berufsträger eigenständig ausführe und zu verantworten habe. Dies gelte auch für Prüfingenieure, obwohl deren Tätigkeit weitgehend gesetzlich geregelt sei und daher umfassende Kontrollmaßnahmen ebenso ausgeschlossen seien wie die Festlegung von Untersuchungsmethoden oder -inhalten.
BFH, Pressemitteilung Nr. 54 vom 22.8.2019 zu Urteil vom 14.5.2019, Az. VIII R 35/16
Eckpunktepapier für eine Neuregelung des Berufsrechts - viel Lob aber auch Kritik
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) begrüßt, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) nunmehr das bereits für Januar 2019 angekündigte Eckpunktepapier für eine Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften vorgelegt und darin einige Vorschläge der BRAK aufgegriffen hat. Erfreulich ist insbesondere, dass das BMJV der Forderung der BRAK folgt und den Berufsausübungsgesellschaften grundsätzlich alle nationalen und europäischen Rechtsformen, also auch Personenhandelsgesellschaften, zur Verfügung stellen will.
Die BRAK stimmt auch der Auffassung des BMJV zu, dass Fremdkapitalbeteiligungen grundsätzlich verboten bleiben müssen. "Nur so kann die Unabhängigkeit der Anwaltschaft gewahrt bleiben", betont BRAK-Präsident RAuN Dr. Ulrich Wessels. Die im Eckpunktepapier getroffenen Überlegungen, Wagniskapital für den Bereich Legal Tech zuzulassen, wird die BRAK dagegen kritisch diskutieren. "Eine solche Öffnung stellt letztlich eine Kapitalbeteiligung durch die Hintertür dar und ist nicht kohärent zu dem grundsätzlichen Verbot der Fremdkapitalbeteiligung", so Wessels.
Die beabsichtigte "Verbesserung interprofessioneller Zusammenarbeit" lehnt die BRAK nachdrücklich ab. Der im Eckpunktepapier enthaltene Ansatz bedeutet eine Öffnung für alle Berufe, die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Zweitberuf ausüben dürfen. Faktisch bedeutet dies, dass Sozietäten mit beinahe jedem Berufstätigen – außer dem Makler – gebildet werden können. "Das ist nicht hinnehmbar und gefährdet die Unabhängigkeit unseres Berufsstandes. Wir teilen nach wie vor die Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes. Eine Erweiterung ist nur hin zu vergleichbaren Berufen denkbar, die ihrerseits über eigene Berufspflichten und insbesondere eigene Verschwiegenheitspflichten verfügen", resümiert Wessels.
Die BRAK hält weiterhin an ihren Vorschlägen zum anwaltlichen Gesellschaftsrecht fest, die sie bereits im Rahmen einer Stellungnahme im Mai 2018 an das BMJV übermittelt hat.
BRAK, Pressemitteilung vom 29.08.2019
Heimarbeit: Verdienstsicherung und Urlaubsabgeltung
Ein Heimarbeiter kann nach Maßgabe des Heimarbeitsgesetzes (HAG) eine Sicherung seines Entgelts für die Dauer der Kündigungsfrist sowie Urlaubsabgeltung nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verlangen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG).
Der Kläger erbrachte für die Beklagte regelmäßig Leistungen als selbstständiger Bauingenieur/Programmierer in Heimarbeit. Nachdem die Beklagte beschlossen hatte, ihr Unternehmen aufzulösen und zu liquidieren, wies sie dem Kläger seit Dezember 2013 keine Projekte mehr zu. Das Heimarbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Beklagten mit Ablauf des 30. April 2016. Für diesen Zeitraum hat der Kläger von der Beklagten verlangt, ihm Vergütung i. H. v. 171.970,00 Euro brutto zu zahlen sowie 72 Werktage Urlaub i. H. v. 15.584,94 Euro brutto abzugelten.
Die Vorinstanzen haben der Klage teilweise stattgegeben. Soweit die Klage abgewiesen wurde, verlangt der Kläger mit der Revision die Zahlung weiterer 130.460,00 Euro brutto wegen Nichtausgabe von Heimarbeit sowie Urlaubsabgeltung für das Jahr 2014 i. H. v. 4.091,71 Euro brutto sowie i. H. v. 5.194,83 Euro brutto für das Jahr 2015. Die Revision vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte nur hinsichtlich der begehrten Urlaubsabgeltung Erfolg.
Neben dem Entgelt, das die Beklagte für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist, während der sie keine Heimarbeit ausgab, schuldete, kann der Kläger keine weitere Vergütung verlangen. Ein Anspruch unter den Gesichtspunkten des Annahmeverzugs oder Schadensersatzes besteht nicht. Es fehlt an einer besonderen Absprache der Parteien, dem Kläger Projekte in einem bestimmten Umfang zuzuweisen. Heimarbeiter haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Ausgabe einer bestimmten Arbeitsmenge. Da sie aber regelmäßig auf Aufträge angewiesen sind, sehen die Bestimmungen des Heimarbeitsgesetzes zum Kündigungsschutz eine Entgeltsicherung vor. Kündigt der Auftraggeber das Heimarbeitsverhältnis, kann der Heimarbeiter gemäß § 29 Abs. 7 HAG für die Dauer der Kündigungsfrist Fortzahlung des Entgelts beanspruchen, das er im Durchschnitt der letzten 24 Monate vor der Kündigung durch Heimarbeit erzielt hat. § 29 Abs. 8 HAG sichert das Entgelt, wenn der Auftraggeber nicht kündigt, jedoch die Arbeitsmenge, die er mindestens ein Jahr regelmäßig an einen Heimarbeiter ausgegeben hat, um mindestens ein Viertel verringert. Die Entgeltsicherung nach § 29 Abs. 7 und Abs. 8 HAG steht dem Heimarbeiter jedoch nur alternativ zu.
Die Höhe der bei Beendigung des Heimarbeitsverhältnisses geschuldeten Urlaubsabgeltung ist nach § 12 Nr. 1 BUrlG auf der Grundlage des Entgelts des Heimarbeiters in der Zeit vom 1. Mai des vergangenen bis zum 30. April des laufenden Jahres zu ermitteln. Für den Urlaub aus dem Jahr 2014 ist deshalb im Streitfall auf das Entgelt abzustellen, das der Kläger in der Zeit vom 1. Mai 2013 bis zum 30. April 2014 erzielt hat. Die hierfür erforderlichen Tatsachen wird das Landesarbeitsgericht nach der insoweit erfolgten Zurückverweisung der Sache aufzuklären haben. Für das Jahr 2015 steht dem Kläger Urlaubsabgeltung i. H. v. 1.103,12 Euro brutto zu.
BAG, Pressemitteilung vom 20.08.2019 zum Urteil 9 AZR 41/19 vom 20.08.2019
Zahnersatz: Zahnarzt darf nur bei Unzumutbarkeit der Weiterbehandlung gewechselt werden
Das Recht auf freie Arztwahl ist nach begonnener Zahnersatzbehandlung eingeschränkt. Dies führt das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main in zwei Beschlüssen über Eilanträge aus, die jeweils auf die Verpflichtung einer Krankenkasse gerichtet waren, Kosten für Zahnersatzbehandlungen durch einen anderen Zahnarzt als den bisherigen Behandler zu übernehmen.
In beiden entschiedenen Fällen hat das SG auf die höchstrichterliche Rechtsprechung verwiesen, wonach die Einschränkung des Rechts der freien Arztwahl bei begonnener Zahnersatzbehandlung bis zum Abschluss der Behandlung und darüber hinaus bis zum Ablauf des Zeitraums gelte, in dem bei fehlerhaftem Zahnersatz aufgrund der zweijährigen Gewährleistung ein Anspruch auf kostenfreie Mängelbeseitigung oder Neuanfertigung durch den bisherigen Behandler besteht. Nach der Rechtsprechung bestehe eine solche Bindung an den bisherigen Behandler allerdings ausnahmsweise dann nicht, wenn die dortige Weiterbehandlung für den Versicherten unzumutbar wäre.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat das SG im ersten entschiedenen Fall angenommen, dass es der Antragstellerin, einer 65-jährigen Versicherten, nicht zumutbar sei, weiterhin auf die bisher behandelnde Zahnärztin verwiesen zu werden. Die Krankenkasse sei daher zur Übernahme der Behandlungskosten eines anderen Zahnarztes vorläufig verpflichtet worden. Zur Begründung hat das Gericht maßgeblich darauf abgestellt, dass das für eine ärztliche Behandlung erforderliche Vertrauensverhältnis aufgrund eines erheblichen Konflikts zwischen der Versicherten und ihrer Zahnärztin zerstört sei. Beide hatten sich wiederholt wechselseitig Vorwürfe gemacht – die angeblichen Schmerzen der Antragstellerin seien nicht nachvollziehbar, die Zahnärztin sei rat- und hilflos und es mangele ihr an Reflexionsfähigkeit – und es bestand Streit über die Frage, ob Nachbesserungsversuche der Ärztin erfolgreich waren.
Demgegenüber hat das Gericht im zweiten entschiedenen Fall den Eilantrag der dort 72-jährigen Versicherten abgelehnt. Bei dieser Versicherten war eine prothetische Versorgung geplant, die im ersten Schritt durch Einsetzen von sechs Kronen und im zweiten Schritt durch Einsetzen herausnehmbarer Prothesen erfolgen sollte. Die Versicherte machte bereits nach dem Einsetzen der Kronen deren erhebliche Mangelhaftigkeit und hierdurch bedingte Schmerzen geltend. Das SG hat ausgeführt, die prothetische Gesamtversorgung könne nicht auf ihre Mangelhaftigkeit hin beurteilt werden, da die Versorgung nicht abgeschlossen sei. Auf Grundlage eingeholter zahnärztlicher Stellungnahmen sei nicht erkennbar, dass die eingesetzten Kronen so mangelhaft seien, dass nur eine Neuanfertigung in Betracht komme beziehungsweise das Einsetzen der Prothesen nicht möglich sei. Der Antragstellerin sei eine Weiterbehandlung bei der bisherigen Zahnärztin auch zumutbar. Ein schwerwiegender Behandlungsfehler sei bislang nicht feststellbar und die Antragstellerin habe nur zwei Nachbesserungsversuche vornehmen lassen. Allein Unstimmigkeiten zwischen der Antragstellerin und der Behandlerin in Bezug auf vorzunehmende Nachbesserungen seien kein Beleg für ein zerstörtes Vertrauensverhältnis.
Sozialgericht Frankfurt am Main, stattgebender Beschluss vom 07.03.2019,
S 18 KR 2756/18 ER, rechtskräftig, ablehnender Beschluss vom 18.06.2019, S 35 KR 602/19 ER, nicht rechtskräftig
Betriebsprüfung verursacht für drei von vier Unternehmen erhebliche Kosten
Nach Betriebsprüfungen müssen Unternehmen in Deutschland regelmäßig Steuer nachzahlen. Dies ist eines der erwarteten Ergebnisse der Studie "Betriebsprüfung 2018", die die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) erstellt hat.
Da die Herausforderung steigt, neue Gesetze, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis korrekt anzuwenden, hat PwC die Vorgängerstudie von 2015 aktualisiert. Die Untersuchung beleuchtet aktuelle Prüfungsschwerpunkte der Betriebsprüfung. PwC hat dafür in einer groß angelegten Studie Steuer- und Finanzexperten aus mittelständischen (bis 500 Mitarbeiter) und größeren Unternehmen (2.000 und mehr Mitarbeiter) aus ganz Deutschland befragt.
Die Studie steht hier im PDF-Format als Download zur Verfügung: https://www.pwc.de/de/steuerberatung/pwc-studie-betriebspruefung-20191.pdf
PricewaterhouseCoopers GmbH, Pressemeldung vom 16. August 2019
Wagniskapitalförderung: Weniger als die Hälfte wird abgerufen
Die für die Wagniskapitalförderung bereitgestellten Mittel der Bundesregierung sind in den vergangenen Jahren weniger als zur Hälfte abgerufen worden.
Wie aus der Antwort (19/12471) auf eine Kleine Anfrage (19/12053) der FDP-Fraktion hervorgeht, sind von den 46 Millionen Euro, die 2018 im Haushalt bereitgestellt worden waren, 21,5 Millionen Euro abgerufen worden. 2017 wurden von 46 Millionen Euro 17,3 Millionen Euro abgerufen, 2016 waren es 30 Millionen Euro an bereitgestellten Mitteln und 14,8 Millionen Euro an abgerufenen. In diesem Jahr stehen für das Programm "Invest" ebenfalls 46 Millionen Euro zur Verfügung, bis zum 31.7.2019 sind den Angaben zufolge 15,5 Millionen Euro abgerufen worden.
Das Programm "Invest" fokussiere auf die ausschließliche Förderung von Business-Angel-Investitionen, erklärt die Bundesregierung weiter. Adressiert würden Privatpersonen. So solle dem deutschen Business-Angel-Markt Aufschwung verliehen werden, damit junge innovative Unternehmen einen besseren Zugang zu Wagniskapital haben. Das Programm werde derzeit evaluiert.
In der Antwort führt die Bundesregierung außerdem Zahlen zu geförderten Unternehmen, Ablehnungsgründe für Anträge und zu geförderten Investitionssummen auf.
Deutscher Bundestag, hib-Meldung Nr. 924/2019 vom 23.08.2019
Gewerbetreibende
Betriebsprüfung verursacht für drei von vier Unternehmen erhebliche Kosten
Nach Betriebsprüfungen müssen Unternehmen in Deutschland regelmäßig Steuer nachzahlen. Dies ist eines der erwarteten Ergebnisse der Studie "Betriebsprüfung 2018", die die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) erstellt hat.
Da die Herausforderung steigt, neue Gesetze, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis korrekt anzuwenden, hat PwC die Vorgängerstudie von 2015 aktualisiert. Die Untersuchung beleuchtet aktuelle Prüfungsschwerpunkte der Betriebsprüfung. PwC hat dafür in einer groß angelegten Studie Steuer- und Finanzexperten aus mittelständischen (bis 500 Mitarbeiter) und größeren Unternehmen (2.000 und mehr Mitarbeiter) aus ganz Deutschland befragt.
Die Studie steht hier im PDF-Format als Download zur Verfügung: https://www.pwc.de/de/steuerberatung/pwc-studie-betriebspruefung-20191.pdf
PricewaterhouseCoopers GmbH, Pressemeldung vom 16. August 2019
Wagniskapitalförderung: Weniger als die Hälfte wird abgerufen
Die für die Wagniskapitalförderung bereitgestellten Mittel der Bundesregierung sind in den vergangenen Jahren weniger als zur Hälfte abgerufen worden.
Wie aus der Antwort (19/12471) auf eine Kleine Anfrage (19/12053) der FDP-Fraktion hervorgeht, sind von den 46 Millionen Euro, die 2018 im Haushalt bereitgestellt worden waren, 21,5 Millionen Euro abgerufen worden. 2017 wurden von 46 Millionen Euro 17,3 Millionen Euro abgerufen, 2016 waren es 30 Millionen Euro an bereitgestellten Mitteln und 14,8 Millionen Euro an abgerufenen. In diesem Jahr stehen für das Programm "Invest" ebenfalls 46 Millionen Euro zur Verfügung, bis zum 31.7.2019 sind den Angaben zufolge 15,5 Millionen Euro abgerufen worden.
Das Programm "Invest" fokussiere auf die ausschließliche Förderung von Business-Angel-Investitionen, erklärt die Bundesregierung weiter. Adressiert würden Privatpersonen. So solle dem deutschen Business-Angel-Markt Aufschwung verliehen werden, damit junge innovative Unternehmen einen besseren Zugang zu Wagniskapital haben. Das Programm werde derzeit evaluiert.
In der Antwort führt die Bundesregierung außerdem Zahlen zu geförderten Unternehmen, Ablehnungsgründe für Anträge und zu geförderten Investitionssummen auf.
Deutscher Bundestag, hib-Meldung Nr. 924/2019 vom 23.08.2019
Produktsicherheit und Marktüberwachung: Fairen und freien Wettbewerb stärken
Der weltweite Verkauf von Waren über Online-Shops und -Plattformen ist fast ein Kinderspiel. In diesem Spiel existieren aber Regeln für die beteiligten Akteure. Diese sind häufig sehr komplex und von Land zu Land unterschiedlich. Darauf weist der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in einer aktuellen Mitteilung hin.
Händler aus Drittstaaten, also aus Ländern außerhalb der EU, nutzen die neuen Vertriebswege immer stärker, beachten aber häufig die Regeln im Zielland – sicher oft unwissentlich – nicht. So gelangen immer mehr Waren in die EU und nach Deutschland, die nicht konform mit den europäischen Rechtsvorschriften sind. Da sie meist deutlich günstiger angeboten werden als geprüfte Artikel, entsteht eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung für Unternehmen, die regelkonforme Produkte verkaufen.
Neue EU-Verordnung soll Produktsicherheit im Binnenmarkt fördern
Die Politik hat dieses Problem erkannt und in Brüssel im Frühjahr eine Verordnung verabschiedet, um die Marktüberwachung und Konformität von Produkten genauer in den Blick zu nehmen ((EU) 2019/1020). Sie stärkt die Vollzugsbehörden der Marktüberwachung und des Zolls deutlich – allerdings erst ab Juli 2021. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Waren, die EU-Regelungen zur Produktsicherheit unterliegen, nur noch in Verkehr gebracht werden, wenn ein Marktakteur in der EU ansässig ist. Das betrifft neben Herstellern auch Importeure, Bevollmächtigte oder Fulfillment-Dienstleister. Marktüberwachungsbehörden können dann auch bei Fulfillment-Centern – also Dienstleistern, die Waren für andere Unternehmen lagern, verpacken und versenden – Inspektionen vor Ort durchführen oder relevante Unterlagen anfordern. Bislang ist dies nur beschränkt möglich. Zudem gilt eine "Inverkehrbringen-Fiktion": Wird ein Produkt online angeboten und damit an Konsumenten in der EU gerichtet, gilt das als Bereitstellung auf dem Binnenmarkt. Bei ernsten Risiken ist es dann möglich, Plattformen und E-Commerce-Händler zur Sperrung von Online-Angeboten aufzufordern.
Marktüberwachungsbehörden und Plattformen sind gefragt
Doch dazu müssen zuvor unsichere Angebote in den fast unendlichen Weiten des Online-Shoppings gefunden werden. Allein über die beiden großen Plattformen Amazon und eBay sind in Deutschland fast zwei Milliarden verschiedene Produkte erhältlich. Dazu kommen zahlreiche weitere Online-Shops. Häufig stoßen daher nicht die Marktüberwachungsbehörden oder der Zoll auf unsichere Produkte. Vielmehr spüren Unternehmen solche Angebote von Wettbewerbern auf Plattformen oder in Webshops auf. Mittels Testkäufen können sie oft sogar belegen, dass die Produkte nicht den geltenden Sicherheits- und Konformitätsbedingungen entsprechen. Aber es ist kaum transparent, an wen sich Unternehmen nun wenden können. Anders als im Bereich des Markenrechts können die Betriebe auch keine Verletzung eigener Rechte geltend machen. Hier ist es dringend notwendig, dass Marktüberwachungsbehörden und Plattformen bereits heute aktiv werden und Wege aufzeigen, die einen fairen Wettbewerb nicht erst ab 2021 ermöglichen. Der DIHK macht im Dialog mit den relevanten Akteuren den Handlungsdruck deutlich und sucht gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern und Politik nach Lösungsansätzen.
Der weltweite Online-Verkauf von Waren unterliegt komplexen Vorschriften, die insbesondere Händler aus Drittstaaten nicht immer beachten. Für die Anbieter regelkonformer Produkte führen Verstöße zu Wettbewerbsverzerrungen. Deshalb sollen ab Juli 2021 Waren, die EU-Regelungen zur Produktsicherheit unterliegen, nur noch in Verkehr gebracht werden, wenn ein Marktakteur in der Europäischen Union ansässig ist. Der DIHK setzt sich dafür ein, dass auch in der Zwischenzeit ein fairer Wettbewerb ermöglicht wird.
DIHK, Mitteilung vom 22.8.2019
Bundeswirtschaftsminister startet Initiative zur Unternehmensnachfolge
Im Rahmen seiner Mittelstandsreise gab Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier am 30.08.2019 den Startschuss für die Initative "Unternehmensnachfolge – aus der Praxis für die Praxis" des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Die Initiative ist eine Maßnahme der Gründungsoffensive "GO!", die das BMWi gemeinsam mit den Wirtschaftsverbänden ins Leben gerufen hat.
Bundesminister Altmaier: "Im deutschen Mittelstand vollzieht sich ein Generationswechsel. Immer mehr Unternehmerinnen und Unternehmer suchen eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger. In Zeiten, in denen Fachkräfte oft stark umworben werden, ist das keine leichte Aufgabe. Angesichts der großen Bedeutung, die viele kleine und mittlere Unternehmen für ihre Region und alle gemeinsam für die deutsche Wirstchaft haben, können wir uns ungeklärte Nachfolgesituationen aber nicht leisten. Deshalb starte ich heute unsere neue Initiative zur Unternehmensnachfolge, mit der wir Unternehmer und potenzielle Nachfolger frühzeitig sensibilisieren und sie bei der Unternehmensübergabe begleiten und unterstützen wollen. So tragen wir dazu bei, die Zukunft vor allem mittelständischer Unternehmen zu sichern und Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie Know-How in Deutschland zu erhalten."
Laut dem Nachfolgemonitoring der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) stehen innerhalb der nächsten fünf Jahre rund 500.000 kleine und mittlere Betriebe zur Übergabe an. Ungefähr die Hälfte der Unternehmen plant dabei eine Nachfolge innerhalb der Familie. Für die anderen Unternehmerinnen und Unternehmer gilt es, geeignete und interessierte Nachfolgerinnen und Nachfolger in der eigenen Belegschaft oder außerhalb des Unternehmens zu identifizieren. Hier sollen die Modellprojekte der neuen Initiative ansetzen. Die Modellprojekte können sich dabei auch auf die kostenlose Nachfolgebörse stützen, die das BMWi bereits gemeinsam mit der KfW und über 700 engagierten Regionalpartnern betreibt.
Bis 15. Oktober 2019 können sich wirtschaftsnahe Einrichtungen mit einer Ideenskizze für ein Modellprojekt bewerben.
BMWi, Pressemitteilung vom 30.08.2019
Investitionsabzugsbetrag bei einer GbR: Wer zahlt die Steuer bei Nicht-Investition?
Eine GbR hatte in ihrer Gewinnermittlung für 2010 einen Investitionsabzugsbetrag für künftige Investitionen gebildet und damit kräftig Steuern gespart. Die eine Gesellschafterin erklärte bei Abgabe der Steuererklärung im September 2011 schriftlich, dass sie alle Steuern, die im Falle fehlender Investitionen entstehen, persönlich tragen werde.
Wegen Streitigkeiten wurde die GbR zum 31.12.2012 aufgelöst und von dieser Gesellschafterin als Einzelunternehmen fortgeführt. Von den geplanten Investitionen nahm sie bis zum 31.12.2013 nur einen Teil vor. Daher löste das Finanzamt den überhöhten IAB der GbR rückwirkend im Jahr 2010 gewinnerhöhend auf. Die Gewinnerhöhung verteilte es nach der ursprünglichen Gewinnverteilung auf die beiden Gesellschafter, kümmerte sich also nicht um die schriftliche Zusicherung der nunmehrigen Einzelunternehmerin, die Steuerbelastung allein zu tragen.
Dagegen klagte die andere frühere Gesellschafterin, die sich auf die schriftliche Vereinbarung berief und es ablehnte, ihren Anteil an der Gewinnerhöhung zu tragen. Das Gericht gab jedoch dem Finanzamt recht und bestätigte die Aufteilung des Mehrgewinns entsprechend dem früheren Gewinnverteilungsschlüssel.
FG Düsseldorf vom 8.5.2019, 15 K 1457/18 F
Wann haben Selbstständige beim Auftraggeber eine Betriebsstätte?
Mit der Reform des Reisekostenrechts im Jahr 2014 wurde für Arbeitnehmer im EStG der Begriff der ersten Tätigkeitsstätte eingeführt. Fahrten dorthin sind nur mit der Entfernungspauschale absetzbar, Fahrten zu weiteren Tätigkeitsstätten dagegen steuerlich günstiger mit der Reisekostenpauschale. Für Selbstständige fehlt es dagegen an einer vergleichbaren gesetzlichen Definition der ersten Betriebsstätte. Das Bundesfinanzministerium hat daher in einem Schreiben von Dezember 2014 die Kriterien für eine erste Tätigkeitsstätte von Arbeitnehmern sinngemäß auf Selbstständige übertragen, was naturgemäß schwierig ist. Jetzt hat der Bundesfinanzhof Gelegenheit, sich in einer Revision mit dem Begriff der ersten Betriebsstätte bzw. mit der Frage auseinanderzusetzen, ob durch die Einführung des Begriffs der ersten Tätigkeitsstätte für Arbeitnehmer sich für Gewerbetreibende hinsichtlich der Behandlung der Kosten von Geschäftsfahrten im Vergleich zu früheren Rechtslage Veränderungen ergeben haben (Az. X R 14/19).
Die Vorinstanz hatte für den klagenden Abbruchunternehmer zwei Betriebsstätten angenommen, und zwar einmal die unternehmenseigene Einrichtung, in der Gerätschaften gelagert und die Aufträge büromäßig vorbereitet wurden, und zum anderen auf dem Betriebsgelände des einzigen Auftraggebers, auf dem die Abbruch- und Reinigungsarbeiten durchgeführt wurden. Für die Fahrten zum Auftraggeber wurde vom Finanzamt und vom Finanzgericht nur die Entfernungspauschale gewährt. Der Unternehmer hatte dagegen die Entfernungspauschale nur für seine Fahrten zur eigenen Betriebsstätte ansetzen wollen und die Fahrten zum Auftraggeber steuerlich als Geschäftsfahrten abgesetzt, weil er dort keine Betriebsstätte habe.
Das Finanzgericht begründete seine Auffassung damit, dass inhaltlich und zeitlich der Mittelpunkt der betrieblichen Tätigkeit des Unternehmers am Sitz des Auftraggebers liege. Denn dieser Ort würde im Durchschnitt an jedem zweiten Arbeitstag vom Unternehmer angefahren und dort würden auch die eigentlichen, zu Einkünften führenden betrieblichen Arbeiten ausgeführt, während am Ort der eigenen Betriebsstätte nur Vorbereitungshandlungen vorgenommen würden und dieser Ort auch nicht jedes Mal vor der Abfahrt zum Auftraggeber aufgesucht würde. Dieser Einschätzung stünde nicht entgegen, dass der Unternehmer den Sitz seines Auftraggebers nicht aufgrund eines einzigen Auftrages, sondern aufgrund einer Vielzahl von Einzelaufträgen aufgesucht habe. Der Kläger ist dagegen unter Hinweis auf das BMF-Schreiben von Ende 2014 der Auffassung, dass – wenn er zwei Betriebsstätten haben sollte – seine eigene Betriebsstätte die erste sei, weil sie näher an seiner Wohnung liege als der Sitz seines Auftraggebers, zu dem er gar keinen Zutritt aufgrund eigener Verfügungsmacht habe.
Selbstständigen, denen das Finanzamt den Betriebssitz des Auftraggebers als erste Betriebsstätte zuordnet, sollten unter Hinweis auf die Revision dagegen Einspruch einlegen. Es wird vom BFH zu klären sein, ob Selbstständige bei einem Auftraggeber, analog zu Arbeitnehmern beim Arbeitgeber, überhaupt eine eigene Betriebsstätte haben können.
FG Düsseldorf vom 11.3.2019, 9 K 1960/17 E,G
Künstlersozialabgabe bleibt im Jahr 2020 stabil
Wenn Sie als Unternehmer nicht nur gelegentlich Aufträge an selbstständige Künstler wie beispielsweise Fotografen, Webdesigner oder Grafiker vergeben, müssen Sie auf die gezahlten Honorare die Künstlersozialabgabe an die Künstlersozialversicherung abführen. Der Abgabesatz bleibt nun das dritte Jahr stabil bei 4,2 %.
Seit 2015 wurden ca. 80.000 abgabepflichtige Unternehmen neu erfasst - eine solide Finanzierungsbasis für die Künstlersozialversicherung, über die selbstständige Künstler und Publizisten als Pflichtversicherte gesetzlich kranken-, pflege- und rentenversichert sind.
Die von Ihnen abgeführte Künstlersozialabgabe können Sie als Betriebsausgabe abziehen.
Betriebsunterbrechung noch nach 60 Jahren?
Stellt ein Unternehmer seine aktive Tätigkeit ein, ohne eine eindeutige Aufgabeerklärung abzugeben, so geht die Rechtsprechung davon aus, dass ein ruhender Betrieb und damit keine Betriebsaufgabe vorliegt. Voraussetzung für eine solche Betriebsunterbrechung: Die wesentlichen Betriebsgrundlagen werden zurückbehalten und der Unternehmer hat die Möglichkeit, seine bisherige Tätigkeit später wieder aufzunehmen. Das hat den Vorteil, dass es zu keiner Realisierung der im Unternehmen ruhenden stillen Reserven kommt.
Doch wie lange eine solche Betriebsunterbrechung dauern kann, darüber gibt es keine klaren Aussagen. In einem aktuellen Urteil ging das Gericht davon aus, dass sie sich im Einzelfall über viele Jahre und sogar über mehrere Generationen hinweg erstrecken kann.
Ein Unternehmer hatte seit den dreißiger Jahren auf einem mit Hallen, Garagen und Wohn- und Verwaltungsgebäude bebauten Grundstück einen Brotgroßhandel betrieben. 1953 wurde der Brotgroßhandel verkauft und das Betriebsgrundstück verpachtet. 2015 wurde dann ein Neubau mit 44 Wohneinheiten auf dem Grundstück errichtet.
Nach dem Tod des Unternehmers im Jahr 1985 beantragten seine Erben, die Einkünfte aus der Verpachtung des Grundstücks als solche aus Vermietung und Verpachtung und nicht wie bisher als solche aus Gewerbebetrieb einzustufen. Sie argumentierten, der frühere Betrieb sei bereits 1953 mit dem Verkauf des Brothandels aufgegeben worden. Der Charme dieser Betrachtungsweise lag darin, dass die Betriebsaufgabe längst verjährt gewesen wäre und sich somit das ganze Grundstück steuerfrei im Privatvermögen befunden hätte.
Das Finanzgericht folgte dieser Sichtweise allerdings nicht. Die Richter gingen nämlich von einer seit 1953 bestehenden Betriebsunterbrechung und nicht von einer früheren Betriebsaufgabe aus. Schließlich sei das Grundstück als wesentliche Betriebsgrundlage behalten worden und bis zur Neubebauung 2014 hätte durchaus ein identitätswahrender Betrieb wieder aufgenommen werden können. Eine feste zeitliche Grenze für die Beendigung einer Betriebsunterbrechung gebe es nicht. Danach handelte es sich immer noch um Betriebsvermögen. Erst mit der Neubebauung kam es zur endgültigen Betriebsaufgabe und damit zur zwingenden Besteuerung der hohen im Grundstück steckenden stillen Reserven. Nun muss der BFH klären, ob er die Meinung des Finanzgerichts teilt.
FG Hamburg vom 26.3.2019, 6 K 9/18; Az. des BFH: V R 13/19
GmbH-Geschäftsführer
Betriebsprüfung verursacht für drei von vier Unternehmen erhebliche Kosten
Nach Betriebsprüfungen müssen Unternehmen in Deutschland regelmäßig Steuer nachzahlen. Dies ist eines der erwarteten Ergebnisse der Studie "Betriebsprüfung 2018", die die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) erstellt hat.
Da die Herausforderung steigt, neue Gesetze, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis korrekt anzuwenden, hat PwC die Vorgängerstudie von 2015 aktualisiert. Die Untersuchung beleuchtet aktuelle Prüfungsschwerpunkte der Betriebsprüfung. PwC hat dafür in einer groß angelegten Studie Steuer- und Finanzexperten aus mittelständischen (bis 500 Mitarbeiter) und größeren Unternehmen (2.000 und mehr Mitarbeiter) aus ganz Deutschland befragt.
Die Studie steht hier im PDF-Format als Download zur Verfügung: https://www.pwc.de/de/steuerberatung/pwc-studie-betriebspruefung-20191.pdf
PricewaterhouseCoopers GmbH, Pressemeldung vom 16. August 2019
Heimarbeit: Verdienstsicherung und Urlaubsabgeltung
Ein Heimarbeiter kann nach Maßgabe des Heimarbeitsgesetzes (HAG) eine Sicherung seines Entgelts für die Dauer der Kündigungsfrist sowie Urlaubsabgeltung nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verlangen. Das entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG).
Der Kläger erbrachte für die Beklagte regelmäßig Leistungen als selbstständiger Bauingenieur/Programmierer in Heimarbeit. Nachdem die Beklagte beschlossen hatte, ihr Unternehmen aufzulösen und zu liquidieren, wies sie dem Kläger seit Dezember 2013 keine Projekte mehr zu. Das Heimarbeitsverhältnis endete durch Kündigung der Beklagten mit Ablauf des 30. April 2016. Für diesen Zeitraum hat der Kläger von der Beklagten verlangt, ihm Vergütung i. H. v. 171.970,00 Euro brutto zu zahlen sowie 72 Werktage Urlaub i. H. v. 15.584,94 Euro brutto abzugelten.
Die Vorinstanzen haben der Klage teilweise stattgegeben. Soweit die Klage abgewiesen wurde, verlangt der Kläger mit der Revision die Zahlung weiterer 130.460,00 Euro brutto wegen Nichtausgabe von Heimarbeit sowie Urlaubsabgeltung für das Jahr 2014 i. H. v. 4.091,71 Euro brutto sowie i. H. v. 5.194,83 Euro brutto für das Jahr 2015. Die Revision vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte nur hinsichtlich der begehrten Urlaubsabgeltung Erfolg.
Neben dem Entgelt, das die Beklagte für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist, während der sie keine Heimarbeit ausgab, schuldete, kann der Kläger keine weitere Vergütung verlangen. Ein Anspruch unter den Gesichtspunkten des Annahmeverzugs oder Schadensersatzes besteht nicht. Es fehlt an einer besonderen Absprache der Parteien, dem Kläger Projekte in einem bestimmten Umfang zuzuweisen. Heimarbeiter haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Ausgabe einer bestimmten Arbeitsmenge. Da sie aber regelmäßig auf Aufträge angewiesen sind, sehen die Bestimmungen des Heimarbeitsgesetzes zum Kündigungsschutz eine Entgeltsicherung vor. Kündigt der Auftraggeber das Heimarbeitsverhältnis, kann der Heimarbeiter gemäß § 29 Abs. 7 HAG für die Dauer der Kündigungsfrist Fortzahlung des Entgelts beanspruchen, das er im Durchschnitt der letzten 24 Monate vor der Kündigung durch Heimarbeit erzielt hat. § 29 Abs. 8 HAG sichert das Entgelt, wenn der Auftraggeber nicht kündigt, jedoch die Arbeitsmenge, die er mindestens ein Jahr regelmäßig an einen Heimarbeiter ausgegeben hat, um mindestens ein Viertel verringert. Die Entgeltsicherung nach § 29 Abs. 7 und Abs. 8 HAG steht dem Heimarbeiter jedoch nur alternativ zu.
Die Höhe der bei Beendigung des Heimarbeitsverhältnisses geschuldeten Urlaubsabgeltung ist nach § 12 Nr. 1 BUrlG auf der Grundlage des Entgelts des Heimarbeiters in der Zeit vom 1. Mai des vergangenen bis zum 30. April des laufenden Jahres zu ermitteln. Für den Urlaub aus dem Jahr 2014 ist deshalb im Streitfall auf das Entgelt abzustellen, das der Kläger in der Zeit vom 1. Mai 2013 bis zum 30. April 2014 erzielt hat. Die hierfür erforderlichen Tatsachen wird das Landesarbeitsgericht nach der insoweit erfolgten Zurückverweisung der Sache aufzuklären haben. Für das Jahr 2015 steht dem Kläger Urlaubsabgeltung i. H. v. 1.103,12 Euro brutto zu.
BAG, Pressemitteilung vom 20.08.2019 zum Urteil 9 AZR 41/19 vom 20.08.2019
Steuerberatungskosten bei Nettolohnvereinbarung: BFH ändert Rechtsprechung!
Der BFH ändert seine Meinung und sagt: Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Nettolohnvereinbarung abgeschlossen haben, führt die Übernahme von Steuerberatungskosten des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber nicht zu steuerpflichtigem Arbeitslohn.
Die Richter erklärten, der Arbeitgeber habe die Steuerberatungskosten nicht zur Entlohnung der Arbeitnehmer übernommen, sondern in seinem ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse. Denn durch die Einschaltung einer Steuerberatungsgesellschaft habe der Arbeitgeber eine möglichst weitgehende Reduzierung der Einkommensteuern der Arbeitnehmer erreichen wollen – und damit auch seiner eigenen Lohnkosten.
Im entschiedenen Fall hatten die Arbeitnehmer ihre Steuererstattungsansprüche an den Arbeitgeber abgetreten. Entscheidend war daher, dass nur der Arbeitgeber von dem wirtschaftlichen Ergebnis der Steuerberatung profitieren konnte. Bei einer derartigen Sachlage, so die Richter, stelle die Übernahme der Kosten für die Erstellung der Einkommensteuererklärungen keinen Arbeitslohn dar.
Die Richter betonten zudem, dass es für die Entscheidung nicht von Bedeutung gewesen sei, dass in dem konkreten Streitfall die Arbeitnehmer aus dem Ausland entsandt worden waren: Für einen reinen Inlandssachverhalt wäre ebenso zu entscheiden gewesen.
BFH-Urteil vom 9.5.2019, Az. VI R 28/17
Verkauf der Zweitwohnung bei Beendigung einer doppelten Haushaltsführung: Vorfälligkeitsentschädigung nicht als Werbungskosten absetzbar
Wird im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung eine Zweitwohnung am Beschäftigungsort erworben, sind damit im Zusammenhang stehende Finanzierungskosten und Schuldzinsen als Unterkunftskosten absetzbar. Endet die doppelte Haushaltsführung und die Zweitwohnung wird verkauft, stellt sich die Frage, ob auch eine wegen der Darlehensablösung an die Bank zu zahlende Vorfälligkeitsentschädigung als Werbungskosten abziehbar ist. Ein Finanzamt lehnte das ab.
Leider zu Recht, denn der BFH hat diese Auffassung bestätigt: Durch die Beendigung der doppelten Haushaltsführung und den Verkauf der Wohnung wird der ursprünglich in der "beruflichen" Nutzung der Immobilie wurzelnde Veranlassungszusammenhang mit den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit aufgelöst und ein neuer Veranlassungszusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft begründet. Bei der Vorfälligkeitsentschädigung handelt es sich folglich nicht um Mehraufwendungen, die wegen der beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung (oder deren Beendigung) entstanden waren, sondern um das Ergebnis der auf eine vorzeitige Kreditablösung gerichteten Änderung des ursprünglichen Darlehensvertrags. Deshalb ist die Vorfälligkeitsentschädigung nicht den Werbungskosten aus nichtselbstständiger Arbeit, sondern dem Verkauf der Wohnung zuzuordnen
BFH-Urteil vom 3.4.2019, Az. VI R 15/17
Wagniskapitalförderung: Weniger als die Hälfte wird abgerufen
Die für die Wagniskapitalförderung bereitgestellten Mittel der Bundesregierung sind in den vergangenen Jahren weniger als zur Hälfte abgerufen worden.
Wie aus der Antwort (19/12471) auf eine Kleine Anfrage (19/12053) der FDP-Fraktion hervorgeht, sind von den 46 Millionen Euro, die 2018 im Haushalt bereitgestellt worden waren, 21,5 Millionen Euro abgerufen worden. 2017 wurden von 46 Millionen Euro 17,3 Millionen Euro abgerufen, 2016 waren es 30 Millionen Euro an bereitgestellten Mitteln und 14,8 Millionen Euro an abgerufenen. In diesem Jahr stehen für das Programm "Invest" ebenfalls 46 Millionen Euro zur Verfügung, bis zum 31.7.2019 sind den Angaben zufolge 15,5 Millionen Euro abgerufen worden.
Das Programm "Invest" fokussiere auf die ausschließliche Förderung von Business-Angel-Investitionen, erklärt die Bundesregierung weiter. Adressiert würden Privatpersonen. So solle dem deutschen Business-Angel-Markt Aufschwung verliehen werden, damit junge innovative Unternehmen einen besseren Zugang zu Wagniskapital haben. Das Programm werde derzeit evaluiert.
In der Antwort führt die Bundesregierung außerdem Zahlen zu geförderten Unternehmen, Ablehnungsgründe für Anträge und zu geförderten Investitionssummen auf.
Deutscher Bundestag, hib-Meldung Nr. 924/2019 vom 23.08.2019
Produktsicherheit und Marktüberwachung: Fairen und freien Wettbewerb stärken
Der weltweite Verkauf von Waren über Online-Shops und -Plattformen ist fast ein Kinderspiel. In diesem Spiel existieren aber Regeln für die beteiligten Akteure. Diese sind häufig sehr komplex und von Land zu Land unterschiedlich. Darauf weist der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in einer aktuellen Mitteilung hin.
Händler aus Drittstaaten, also aus Ländern außerhalb der EU, nutzen die neuen Vertriebswege immer stärker, beachten aber häufig die Regeln im Zielland – sicher oft unwissentlich – nicht. So gelangen immer mehr Waren in die EU und nach Deutschland, die nicht konform mit den europäischen Rechtsvorschriften sind. Da sie meist deutlich günstiger angeboten werden als geprüfte Artikel, entsteht eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung für Unternehmen, die regelkonforme Produkte verkaufen.
Neue EU-Verordnung soll Produktsicherheit im Binnenmarkt fördern
Die Politik hat dieses Problem erkannt und in Brüssel im Frühjahr eine Verordnung verabschiedet, um die Marktüberwachung und Konformität von Produkten genauer in den Blick zu nehmen ((EU) 2019/1020). Sie stärkt die Vollzugsbehörden der Marktüberwachung und des Zolls deutlich – allerdings erst ab Juli 2021. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Waren, die EU-Regelungen zur Produktsicherheit unterliegen, nur noch in Verkehr gebracht werden, wenn ein Marktakteur in der EU ansässig ist. Das betrifft neben Herstellern auch Importeure, Bevollmächtigte oder Fulfillment-Dienstleister. Marktüberwachungsbehörden können dann auch bei Fulfillment-Centern – also Dienstleistern, die Waren für andere Unternehmen lagern, verpacken und versenden – Inspektionen vor Ort durchführen oder relevante Unterlagen anfordern. Bislang ist dies nur beschränkt möglich. Zudem gilt eine "Inverkehrbringen-Fiktion": Wird ein Produkt online angeboten und damit an Konsumenten in der EU gerichtet, gilt das als Bereitstellung auf dem Binnenmarkt. Bei ernsten Risiken ist es dann möglich, Plattformen und E-Commerce-Händler zur Sperrung von Online-Angeboten aufzufordern.
Marktüberwachungsbehörden und Plattformen sind gefragt
Doch dazu müssen zuvor unsichere Angebote in den fast unendlichen Weiten des Online-Shoppings gefunden werden. Allein über die beiden großen Plattformen Amazon und eBay sind in Deutschland fast zwei Milliarden verschiedene Produkte erhältlich. Dazu kommen zahlreiche weitere Online-Shops. Häufig stoßen daher nicht die Marktüberwachungsbehörden oder der Zoll auf unsichere Produkte. Vielmehr spüren Unternehmen solche Angebote von Wettbewerbern auf Plattformen oder in Webshops auf. Mittels Testkäufen können sie oft sogar belegen, dass die Produkte nicht den geltenden Sicherheits- und Konformitätsbedingungen entsprechen. Aber es ist kaum transparent, an wen sich Unternehmen nun wenden können. Anders als im Bereich des Markenrechts können die Betriebe auch keine Verletzung eigener Rechte geltend machen. Hier ist es dringend notwendig, dass Marktüberwachungsbehörden und Plattformen bereits heute aktiv werden und Wege aufzeigen, die einen fairen Wettbewerb nicht erst ab 2021 ermöglichen. Der DIHK macht im Dialog mit den relevanten Akteuren den Handlungsdruck deutlich und sucht gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern und Politik nach Lösungsansätzen.
Der weltweite Online-Verkauf von Waren unterliegt komplexen Vorschriften, die insbesondere Händler aus Drittstaaten nicht immer beachten. Für die Anbieter regelkonformer Produkte führen Verstöße zu Wettbewerbsverzerrungen. Deshalb sollen ab Juli 2021 Waren, die EU-Regelungen zur Produktsicherheit unterliegen, nur noch in Verkehr gebracht werden, wenn ein Marktakteur in der Europäischen Union ansässig ist. Der DIHK setzt sich dafür ein, dass auch in der Zwischenzeit ein fairer Wettbewerb ermöglicht wird.
DIHK, Mitteilung vom 22.8.2019
Abgeltungsteuer: Frist für Antrag auf Regelbesteuerung gilt auch bei nachträglich erkannter verdeckter Gewinnausschüttung
Steuerpflichtige mit Kapitalerträgen aus einer unternehmerischen Beteiligung müssen den Antrag auf Regelbesteuerung anstelle der Abgeltungsteuer spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung stellen, um so die anteilige Steuerfreistellung im Rahmen des sog. Teileinkünfteverfahrens zu erlangen. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden.
Die Antragsfrist gelte auch, wenn sich das Vorliegen von Kapitalerträgen erst durch die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung im Rahmen einer Außenprüfung ergebe. Habe der Steuerpflichtige keinen vorsorglichen Antrag auf Regelbesteuerung gestellt, bestehe dann auch nicht die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung gem. § 110 der Abgabenordnung (AO).
Im Streitfall war der Kläger Alleingesellschafter der A-GmbH und Geschäftsführer der B-GmbH, einer 100%-igen Tochtergesellschaft der A-GmbH. Er bezog in den Streitjahren 2009 bis 2011 von der B-GmbH Gehalts- und Tantiemezahlungen sowie Honorare für Beratungsleistungen. Diese erklärte er bei seinen Einkünften aus selbständiger bzw. nichtselbständiger Arbeit. Einkünfte aus seiner Beteiligung an der A-GmbH erklärte er nicht. Der Kläger stellte jeweils Anträge auf sog. Günstigerprüfung, jedoch keine Anträge auf Regelbesteuerung gem. § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG. Hierfür hatte er bei der Abgabe seiner Einkommensteuererklärungen keinen Anlass gesehen, da er von Einkünften aus nichtselbständiger oder selbständiger Arbeit ausging. Erst nachdem sich im Rahmen einer Außenprüfung ergeben hatte, dass ein Teil des Geschäftsführergehaltes, der Entgelte für Beratungsleistungen und der Tantieme als verdeckte Gewinnausschüttungen anzusehen waren, stellte der Kläger Anträge auf Regelbesteuerung. In den geänderten Einkommensteuerbescheiden erhöhte das Finanzamt die Kapitaleinkünfte des Klägers um die verdeckten Gewinnausschüttungen. Es unterwarf diese nach Günstigerprüfung zwar der tariflichen Einkommensteuer, wendete jedoch das Teileinkünfteverfahren nicht zugunsten des Klägers an. Dies hat der BFH als zutreffend angesehen.
Nach dem Urteil des BFH findet das Teileinkünfteverfahren keine Anwendung. Allein der vom Kläger gestellte Antrag auf Günstigerprüfung führe nicht zu der begehrten anteiligen Steuerfreistellung der Einkünfte aus der A-GmbH. Den für eine solche anteilige Freistellung erforderlichen Antrag gem. § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG habe der Kläger erst nach der Abgabe der Einkommensteuererklärungen und damit nicht fristgerecht gestellt. Die in den Steuererklärungen enthaltenen Anträge auf Günstigerprüfung könnten nicht als fristgerechte konkludente Anträge gem. § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG angesehen werden. Eine teleologische Reduktion der gesetzlichen Fristenregelung, wie sie das Finanzgericht angenommen habe, scheide aus. Das Gesetz, das dem Steuerpflichtigen ausdrücklich nur ein fristgebundenes Wahlrecht gewähre, sei nicht planwidrig unvollständig. Der Steuerpflichtige könne sein Antragsrecht auch vorsorglich ausüben. Verzichte er auf einen solchen vorsorglichen Antrag, trage er das Risiko einer unzutreffenden Beurteilung von Einkünften im Rahmen seiner Steuererklärung.
Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist lehnte der BFH ebenfalls ab, weil im Zeitpunkt der Antragsnachholung durch den Kläger die Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO bereits verstrichen und auch kein Fall höherer Gewalt anzunehmen war.
BFH, Pressemitteilung Nr. 53 vom 22.8.2019 zu Urteil vom 14.5.2019, Az. VIII R 20/16
Mietkosten können auch nach Beendigung der doppelten Haushaltsführung abzugsfähig sein
Die Miete für eine ursprünglich für eine doppelte Haushaltsführung genutzte Wohnung kann nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer einer neuen Arbeitsplatzsuche als vorweggenommene Werbungskosten abgezogen werden. Dies hat das Finanzgericht (FG) Münster entschieden.
Der Kläger ging einer Beschäftigung in Berlin nach, hatte seinen Lebensmittelpunkt aber weiterhin in Nordrhein-Westfalen. Nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber zum 31.08.2015 behielt er seine Wohnung in Berlin bei und bewarb sich in der Folgezeit auf eine Vielzahl von Arbeitsplätzen im gesamten Bundesgebiet, von denen drei in Berlin und Umgebung lagen. Nach Zusage einer Stelle in Hessen zum 01.01.2016 kündigte der Kläger die Mietwohnung in Berlin fristgerecht zum 29.02.2016.
Das Finanzamt erkannte die Mietkosten für die Wohnung in Berlin nur bis zum Ende der mietvertraglichen Kündigungsfrist der Wohnung damit bis einschließlich November 2015 an. Der Kläger begehrte demgegenüber einen Werbungskostenabzug auch für die Dezembermiete in Höhe von rund 240 Euro.
Das FG Münster hat der Klage stattgegeben. Die Miete für den Monat Dezember 2015 sei zwar nicht mehr durch die doppelte Haushaltsführung veranlasst. Bei den Aufwendungen handele es sich jedoch um vorweggenommene Werbungskosten, denn es sei ein hinreichend konkreter Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen erkennbar. Der Kläger habe sich weiterhin auf Arbeitsstellen in Berlin und Umgebung beworben und die Wohnung unmittelbar nach Zusage einer neuen Arbeitsstelle an einem anderen Ort gekündigt. Aus diesem Grund werde die mögliche private Nutzung der Wohnung, etwa für mögliche Wochenendbesuche, überlagert. Zu berücksichtigen sei auch, dass eine vorzeitige Kündigung und eine etwaige Neuanmietung einer anderen Wohnung für den Kläger teurer gewesen wären als die Beibehaltung der verhältnismäßig günstigen Wohnung.
Das FG hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.
Finanzgericht Münster, Urteil vom 12.06.2016, 7 K 57/18 E, nicht rechtskräftig